Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)

sie und Sean noch immer neugierig beäugte.
    »Wer hat schon keine Verwandten aus Irland?«, antwortete Sean schließlich an Dannis Stelle.
    Niall lachte und beugte sich vor, um ihr zuzuzwinkern. »Wir sind ein fruchtbares Völkchen, das gebe ich zu. Wir nennen es ›Selbsterhaltung‹, weißt du. Wenn sie uns nicht so nehmen wollen, wie wir sind, was bleibt uns dann anderes übrig, als uns untereinander zu vermehren?«
    Danni rang sich zu einem schwachen Lächeln durch.
    »Ah, du bist ein hübsches Ding, und ich bin schon richtig neidisch auf meinen Cousin«, sagte Niall grinsend, als er sich erhob. »Also, wie ist es, Vetter? Bist du jetzt so weit?«
    Während Sean mit unverhohlener Überraschung aufblickte, ertönte ein Klopfen an der vorderen Eingangstür.
    So ähnlich muss es sein, sich im Zentrum eines Tornados zu befinden, dachte Danni. Die Ereignisse liefen in so schneller Folge ab, dass sie keine Chance bekamen, das Eine zu verstehen, bevor auch schon das Nächste kam. Danni war versucht, aufzustehen und zu schreien: »Hört auf damit!«, aber natürlich verkniff sie es sich.
    Colleen wischte sich die Hände an der Schürze ab, als sie hinausging, um die Vordertür zu öffnen. Danni konnte das erfreute Lächeln in ihrer Stimme hören, mit dem sie ihren Besuch begrüßte.
    »Guten Morgen, Mrs. Colleen«, antwortete eine wohlklingende Kinderstimme.
    »Und wie geht es dir heute Morgen, mein kleines Fräulein?«
    »Mir geht es sehr gut, und danke der Nachfrage, Mrs. Colleen. Meine Mutter schickt mich, um Mr. Ballagh zu fragen, ob er glaubt, es gäbe heute Lachs.«
    »So Gott will, werden wir welchen heimbringen«, rief Niall aus der Küche.
    »Das ist gut, denn die Köchin will ein neues Rezept ausprobieren und hätte deshalb gerne Lachs für heute Abend.«
    »Und den wird sie auch bekommen«, sagte Niall, der aufgestanden war, um seinen Teller zur Anrichte zu bringen.
    »Danke!«
    Die Stimme des Mädchens war jung und angenehm, und sie zog Danni an wie eine schwer zu bestimmende Melodie. Während Sean noch unbeholfen an ihrer Seite stand, wandte sich Danni schon zur Tür.
    »Meine Mutter sagt, Sie hätten Besuch aus Amerika. Ist das wahr?«, wollte das Mädchen wissen.
    Colleen und die Kleine standen in der Diele, mit dem Profil zu ihr und einer Förmlichkeit, über die Danni sich gewundert hätte, wenn ihr nicht der Verdacht gekommen wäre, dass es ein Spiel zwischen den beiden war. Das Mädchen trug ein langes, weites T-Shirt mit pinkfarbenem Blumenmuster über einer blauen Steghose, die in knöchelhohen Turnschuhen steckte. Das Haar fiel der Kleinen auf diese federleichte, natürlich glatte Art auf die Schultern, die heutzutage wieder groß in Mode war.
    Danni trat einen Schritt näher und fragte sich verwundert, warum ihr das Kind so bekannt vorkam.
    »Nun ja«, sagte Colleen in demselben singenden Tonfall, in dem sie das Mädchen schon begrüßt hatte, »wir haben tatsächlich Gäste aus Amerika. Möchtest du sie kennenlernen?«
    »Oh ja, sehr gern, vielen Dank, Mrs. Colleen!«
    Colleen reichte der Kleinen die Hand, und Danni sah sie näher kommen und empfand jeden ihrer Schritte wie ein immer lauter werdendes Brummen in ihrem Kopf. Unwillkürlich wich sie zurück, wobei sie ihren Stuhl umstieß, was ihr aber erst bewusst wurde, als Sean sich bückte, um ihn aufzuheben. Trotzdem drehte sie sich nicht um, weil sie einfach außerstande war, ihren Blick von dem Gesicht des Mädchens loszureißen. Nur ganz vage nahm sie wahr, dass Sean einen Arm um ihre Taille legte und sie an sich zog.
    »Beruhige dich!«, flüsterte er ihr zu.
    Aber sie konnte sich nicht beruhigen. Als sie das glänzende goldbraune Haar, die klaren grauen Augen und die Handvoll Sommersprossen auf der Nase des Kindes sah, wurde sie von einem Gefühl erfasst, das noch weit über Schock hinausging und das ihre Zunge und auch ihre Knie lähmte. Starr wie eine Statue stand sie da, als das Mädchen vor sie hintrat und mit herzzerreißender Unschuld zu ihr aufblickte und lächelte.
    »Sean, Danni - diese reizende kleine Dame ist Miss Dáirinn MacGrath. Dáirinn, das sind mein Großneffe und seine frischgebackene Ehefrau.«
    »Aus Amerika?«, fragte die Kleine.
    »Aus Amerika«, bestätigte Colleen.
    Danni war außerstande, etwas zu sagen. Oder zu denken. Es war eine Sache, Sean in diesem Jungen widergespiegelt zu sehen, aber nun auch noch sich selbst in dem Mädchen ... Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Sie konnte es nicht fassen. Wie