Der Lord ihres Herzens
Kindern nicht viel anfangen konnte, aber da hatte sie sich wohl getäuscht. Das ist gut, sagte sie sich und unterdrückte einen Anflug von Furcht.
„Luke, du hättest schon vor einer Stunde mit dem Unterricht beginnen sollen.“ Sie hatte es als sanften Tadel gemeint, doch der kleine Frechdachs wirkte keineswegs bestürzt. Er sah Constantine mit leuchtenden Augen an. Anscheinend war ihm das Schwänzen keinen Tadel wert.
Sie ließ nicht locker. „Die Kinderfrau sagt, dass Mr Potts nach Hause gegangen ist, aber ich habe ihm eine Nachricht geschickt, dass er sofort zurückkommen soll. Geh jetzt bitte ins Schulzimmer und warte dort auf ihn.“
Lukes Miene verfinsterte sich. „Aber Tante Jane!“
„Tu lieber, was Tante Jane sagt“, riet Constantine. „Mach dir keine Sorgen. Ich erkläre ihr alles.“
Der Knabe sah aus, als wollte er Einwände erheben, aber Constantine sagte energisch: „Geh jetzt.“
Als er Lukes geknickten Blick sah, lächelte Constantine. „Du gibst mir aber bei Fuchs und Gänse eine Revanche, oder?“
Das gab Luke neuen Mut. Er lachte. „Na klar, Sir. Sie kriegen noch eine Abreibung.“
Der Knabe ging und ließ Constantine und Jane allein zurück. Zwinkernd blickte Constantine ihm nach. „Ein prächtiger kleiner Kerl. Er gereicht Ihnen zur Ehre.“
Vor Stolz wurde ihr warm ums Herz. „Ja, das ist er. Ich rechne mir das jedoch nicht als Verdienst an. Er war von Anfang an einfach das reinste Entzücken für mich.“
Constantine betrachtete sie neugierig. „Wirklich?“
„Natürlich. “ Im Überschwang der Gefühle begannen Janes Augen zu jucken und zu brennen. Sie blinzelte ein paar Mal und sah zur Tür. „Ich kann mir nicht erklären, wieso Mr Potts einfach gegangen ist, ohne einen Versuch zu unternehmen, Luke zu finden.“
„Er ist gegangen, weil ich ihn nach Hause geschickt habe“, erklärte Constantine.
Überrascht öffnete sie den Mund. „Sie haben was?“
Er hielt eine Hand hoch, um sie zum Schweigen zu bringen. „Und bevor Sie jetzt sagen, ich hätte kein Recht dazu, möchte ich Sie daran erinnern, dass ich sein Vormund bin. Ich habe jedes Recht, Jane. Der Junge ist doch noch viel zu jung für einen derartig rigorosen Stundenplan.“ Sanft fügte er hinzu: „Luke braucht die Freiheit, ein Kind zu sein.“
Jane war von dieser Kritik so benommen, dass sie ihm nicht antworten konnte. So also sah er sie? Als herrische, gefühllose Schulmeisterin? „Was hat Luke denn zu Ihnen gesagt?“
„Verstehen Sie mich nicht falsch. Luke hat sich nicht beschwert. Er scheint nur weniger Freiheiten zu haben als andere Knaben in seinem Alter.“ Constantine runzelte die Stirn. „Wenn er sich außerhalb des Unterrichts nicht ausleben und Erfahrungen sammeln kann, wird Luke später große Schwierigkeiten in der Schule haben. Sie hatten doch vor, ihn aufs Internat zu schicken, wenn es so weit ist, oder?“ „Zu Fredericks Lebzeiten wäre das nicht infrage gekommen“, murmelte sie und versuchte, nicht verletzt zu sein. Vielleicht war sie zu fürsorglich gewesen, aber sie hatte es nur gut gemeint.
Sie atmete tief durch. „Frederick war manchmal etwas selbst-gefällig. Er hätte für Luke keinen Hauslehrer engagiert, geschweige denn, ihn zur Schule geschickt. Ich durfte Mr Potts nur einstellen, wenn Luke regelmäßig Prüfungen bestand. Wahrscheinlich bin ich deshalb so streng. Ich wollte nicht, dass er durchfällt.“
Jetzt, wo Frederick nicht mehr da war, konnte sie den strengen Stundenplan lockern. Constantine hatte recht.
Constantine neigte den Kopf. „Selbstgefällig? Frederick? Was meinen Sie damit?“
Sie versuchte, ihre Bitterkeit nicht zu zeigen. „Oh, Frederick wollte sich nicht dazu herablassen, sich um das Wohlergehen eines armen Verwandten zu kümmern. Wenn es nach Frederick gegangen wäre, wäre Luke niemals hierhergekommen. Er hat sich immer verhalten, als störte er sich an Lukes Gegenwart.“
„Aber Sie haben Luke nie als armen Verwandten betrachtet, oder?“, fragte Constantine leise. „Sie lieben ihn.“
Sie presste die Lippen zusammen. Ihre Augen wurden feucht. „Er ist wie ein Sohn für mich. Ich bitte Sie, zwingen Sie mich nicht, mich von ihm zu trennen.“
Er antwortete nicht gleich. Die Verzweiflung schnürte ihr die Kehle zu. Sie konnte nichts sagen, aber was hätten ihre Worte auch bewirken sollen? Er wusste, was sie wollte. Warum konnte er nicht die einfachste Lösung akzeptieren, die alle Probleme aus dem Weg schaffen würde?„Sie haben mir
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