Der Lord und die Betrügerin
Sie atmete schwer, und sein Blick glitt über ihren Hals zu der kleinen Stelle, an der eine Ader heftig pulsierte. Er zögerte, und sie war sicher, dass ihm nicht entging, wie rasch ihre Brust sich hob und senkte. Wenn möglich, so trat er noch ein Stück näher.
»Und ich habe heute Morgen neben dem Bett Fläschchen gefunden. Eines war leer, eines war mit Blut gefüllt.«
Beinahe wäre sie ohnmächtig geworden. Sie fühlte, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich. »Fläschchen?«, wiederholte sie, und ihre Stimme brach beinahe. Es war zu spät. Er wusste esl Um der Liebe der heiligen Mutter willen, er wusste es. »Und das hast du mir nicht gesagt?«
»Ich sage es dir jetzt.«
»Aber warum hast du nicht schon viel früher danach gefragt?«, wollte sie wissen. »Wenn du glaubst, dass etwas nicht stimmt...«
Er packte sie grob an den Schultern, als hätte er die Absicht, sie zu schütteln. Doch stattdessen riet er ihr grob: »Verdreh jetzt nicht alles! Ich habe diese verdammten Fläschchen gefunden und mich gefragt, was sie zu bedeuten haben. Wer hat sie dort versteckt?«
»Vielleicht hat eine der Dienerinnen sie fallen gelassen.«
Er schnaufte. »Das Zimmer war sauber, die Binsen waren frisch gestreut, das Feuerholz war aufgestapelt, das Wasser in der Schüssel frisch. Die Laken waren sauber. Nein, Frau, dieses Zimmer, das Zimmer, in dem wir unsere Ehe vollziehen sollten, war sorgfältig vorbereitet.«
»Aber eine Dienerin kann doch aus Versehen die Fläschchen fallen gelassen und...«
»Still! Du sollst nicht mehr lügen. Vergiss nicht, dass ich gesehen habe, wie du die Diener davon abgehalten hast, dieses Zimmer zu betreten«, fuhr er sie an. Seine Augen blitzten, und seine Nasenflügel blähten sich. Seine Hände schlössen sich fester um ihre Schultern. »Das Blut verstehe ich nicht, obwohl ich gehört habe, dass man so etwas braucht, wenn eine Braut nicht mehr Jungfrau ist, wenn sie in das Bett ihres
Gatten kommt.« Kiera musste sich bemühen, auf den Beinen zu bleiben, sie hoffte, dass ihr Gesichtsausdruck sie nicht verriet. »Aber ich habe keine Zweifel an deiner Jungfräulichkeit, und das Fläschchen mit dem Blut ist voll. Unberührt. Das andere Gefäß wirft eine vollkommen andere Frage auf. Was war darin?« Er wartete auf ihr Antwort.
»Ich... ich weiß es nicht«, stotterte sie.
»Das ist ein Rätsel, aber wenn ich an meine Lethargie denke, kann ich nur annehmen, dass ein Schlaftrunk darin gewesen sein muss, mit der Absicht, mich entweder schlafen zu lassen oder mich zu töten.«
»Was behauptest du denn da?«, fragte sie empört. »Dass ich dich hintergangen habe? Dass ich versucht habe, dir zu schaden? Dass ich mich irgendwie gegen dich verschworen habe? Aber warum sollte ich das tun?« Oh, sie verstrickte sich mit jeder Frage tiefer in ihren Betrug. Sag ihm jetzt, dass du nicht Elyn bist, versuch ihm zu erklären, dass sie verschwunden ist. Es ist ja nicht dein Fehler. Du hast diesem schlimmen Plan niemals zugestimmt, sie ist einfach verschwunden, und du muss- test die Ehre der Familie retten.. . Aber immerhin hatte sie gelogen, und was für eine Ehre lag wohl in einer Lüge?
»Genau das ist es, was ich von dir wissen möchte. Wenn du meinen Tod wolltest...«
Sie keuchte auf. »Nein!«
»Das hättest du leicht tun können, als ich geschlafen habe, aber ich lebe noch. Obwohl etwas nicht stimmt. Und ich will endlich wissen, was es ist.« Entschlossen giff er in seine Tasche und holte die verflixten Fläschchen daraus hervor. Kiera starrte darauf und begriff, dass sie ihrem Schicksal nicht entrinnen konnte. Ihr Glück war endgültig vorüber. Sie musste sich ihm anvertrauen. Jetzt. Es gab keinen Ausweg mehr. Elyns Schicksal war besiegelt. Genau wie das ihre.
Draußen vor dem Zimmer hörte Kiera Schritte, jemand kam die Treppe hinaufgelaufen. Oh, Gott. Jemand kam. Hier zu diesem Zimmer. Noch ehe sie die Möglichkeit hatte, ihm alles zu gestehen. Sie musste es ihm sagen, jetzt, ehe... »Kelan, ich...«
Es war zu spät. Jemand hämmerte gegen die Tür, verlangte, hineingelassen zu werden. Und noch ehe Kiera protestieren konnte, ging Kelan zur Tür und riss sie weit auf, während Kiera herumwirbelte und der Tür den Rücken zukehrte, um ihr Gesicht zu verbergen.
»Da bist du ja!«, rief eine ihr unbekannte Männerstimme.
Wer? Wer redete da mit ihr? Oder mit dem Lord von Penbrooke?
Sie wagte es nicht, einen Blick über ihre Schulter zu riskieren, bis sie sicher war, dass dieser Jemand sie
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