Der Lord und die Betrügerin
nicht kannte. »Hast du es denn noch nicht gehört?«, wollte der Mann wissen.
»Was?«, fragte Kelan.
»Reginald ist vor ein paar Minuten angekommen, mit Nachrichten aus Penbrooke.« Der Mann senkte die Stimme. »Es geht um unsere Mutter.«
Unsere Mutter? Kelans Bruder? Sie wandte sich gerade noch rechtzeitig um, um zu sehen, dass alle Farbe aus Kelans Gesicht wich. »Was ist mit ihr?«
Vorsichtig spähte Kiera über ihre Schulter. Der Mann war groß und hatte dunkles Haar, seine Stirn war gerunzelt, seine Lippen fest zusammengepresst über einem dunklen Bart. Die blauen Augen blickten betrübt, sein Gesichtsausdruck war trostlos. »Sie ist gefallen«, erklärte er mit angespannter Stimme. »Wenn man Reginald glauben kann, so denkt der Arzt, dass sie nur noch wenige Tage zu leben hat, und das war bereits vor drei Tagen.«
»Dann werden wir sofort abreisen«, erklärte Kelan.
»Es ist dunkel draußen.«
»Wir reiten mit Fackeln.« Er sah zu Kiera und steckte die Fläschchen wieder in die Tasche. »Mach dich bereit.«
»Ich kann unmöglich heute Abend abreisen. Wir hatten eine Vereinbarung«, protestierte sie. Aber sie wusste, dass Kelan zu seiner todkranken Mutter musste. War das nicht der Grund dafür gewesen, dass die Eheschließung übereilt angesetzt worden war und warum Elyn sich diese unsinnige Lüge ausgedacht hatte, in der Kiera jetzt bis zum Hals steckte? Nein, das alles durfte nicht sein. Sie brauchte Zeit, um sich ihm anzuvertrauen. Allein. Und sie konnte Elyn und Penelope und ihren Vater nicht ohne eine Erklärung verlassen. Dennoch durfte sie Kelan die letzte Möglichkeit nicht nehmen, seine Mutter noch lebend zu sehen.
»Aye, Frau, das kannst du. Und du wirst es tun!« Er wandte sich wieder an seinen Bruder. »In einer Stunde reiten wir los. Ich werde mich bei unserem Gastgeber verabschieden, und du, Tadd, sorgst dafür, dass die Stallburschen unsere Pferde bereithalten.«
Panik ergriff Kiera. »Aber ich habe noch nicht gepackt, ich habe mich nicht von meiner Familie verabschiedet. Ich habe noch nicht...«
»Und meine Mutter stirbt!«, schnauzte er sie an und packte sie grob am Arm. »Wir reiten in einer Stunde, Frau. Vielleicht solltest du jetzt sofort damit beginnen, dich zu verabschieden.«
»Aber du kannst nicht abreisen«, jammerte Penelope und lief in Elyns Zimmer von einer Seite zur anderen. Sie rang verzweifelt die Hände.
Kiera stopfte einige von Elyns Kleidungsstücken in eine Tasche. Sie hatte nicht viel Zeit. Der Rest von Elyns Sachen würde innerhalb von einer Woche mit einem Wagen nachgeschickt werden. Und zu dieser Zeit hatte sie Kelan;, ganz sicher schon die Wahrheit gesagt... Es sei denn, Elyn würde wie durch ein Wunder wieder auftauchen. Dann würden sie beide alles erklären müssen, oder sie müssten sich einen neuen Plan ausdenken, denn einfach den Platz zu tauschen, das würde wohl nicht mehr klappen. Jetzt nicht mehr. Dafür war schon viel zu viel Zeit vergangen. Kelan kannte sie genau, und er würde den Unterschied bemerken.
»Was wird geschehen, wenn Elyn zurückkommt?«, fragte Penelope.
»Ich weiß es nicht!« Kiera warf eine Tunika in die lederne Tasche, während ihre jüngere Schwester sich ängstlich die Arme rieb. »Kelan hat die Fläschchen gefunden, die wir vor der Hochzeitsnacht versteckt haben, ehe ich sie wegschaffen konnte. Er hat sie mir gerade gezeigt, als die Neuigkeit von seiner Mutter gebracht wurde, und er hat mir vorgeworfen, dass ich ihn betäubt habe.«
»Vater, beschütze uns«, flüsterte Penelope. Sie warf sich auf das Bett, und es wirkte, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
Kiera räusperte sich. Konnte sie tatsächlich abreisen? Aber hatte sie überhaupt eine andere Wahl? »Hör zu, falls Elyn zurückkommt, dann muss sie uns nachreiten und uns einholen. Dann werden wir den Platz tauschen.«
»Wird dein... äh... ihr Ehemann das nicht merken?«
»Ich hoffe es nicht, aber aye, ich denke, er wird es merken. Er ist... er ist nicht dumm, und das alles geht schon viel zu lange. Wie ich gesagt habe, er ist bereits misstrauisch wegen der Fläschchen und weil es ihm unmöglich war, wach zu bleiben. Oh, ich war ja so einfältig. Der ganze Plan war von Anfang an ein Fehler. Ich werde es Elyn überlassen, ihm alles zu erklären... oder ihm eine andere verrückte Geschichte zu erzählen.« Sie und Kelan hatten so viele Stunden miteinander verbracht, dass er auf den Bluff nicht mehr reinfallen würde.
Sein Verstand und seine Augen waren
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