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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Versuch, die Schule gegen die Zeitung aufzubringen und für ihn die Schnüffelarbeit zu erledigen«, sagte Bullock. »Das klappt nie und nimmer. Wer immer dahintersteckt, ist viel zu schlau.«
    Am Nachmittag wußte Adrian wieder mal nicht, was eranfangen sollte. Es war Corpstag, also fand kein Kricket statt, und er wagte nicht, zu Gladys Winkworth raufzuklettern, aus Angst, womöglich wieder Trotter über den Weg zu laufen. Offiziell sollte er seine alte Dame besuchen und kleine Besorgungen für sie erledigen, aber sie war im vorigen Semester an Unterkühlung gestorben, und er hatte noch keinen Ersatz erhalten. Grad hatte er sich entschieden, in die Schulmediothek runterzugehen und das Dirigieren zu Platten zu üben, eine erlaubte Lieblingsbeschäftigung, als er sich an die Dauereinladung zum Tee bei Biffen, dem Französischlehrer, erinnerte. Biffen wohnte in einem ziemlich formidablen Haus auf eigenem Grundstück am Stadtrand.
    »Tag, Sir«, sagte Adrian. »Es ist Freitag, und ich dachte …«
    »Healey! Das ist fabelhaft. Herein, herein.«
    »Ich habe etwas Zitronengelee mitgebracht, Sir.«
    Im Wohnzimmer saßen bereits ungefähr sechs Jungen und unterhielten sich mit Biffens Gattin, Lady Helen. Biffen hatte sie in Cambridge geheiratet und dann zu seiner alten Schule mit zurückgebracht, als er dort als Referendar angefangen hatte. Seither waren sie immer hier gewesen, und das Mitleid der ganzen Schule wurde ihnen zuteil: die Tochter eines Earls, gefesselt an einen hoffnungslosen Gassenpädagogen.
    »Ich kenne Sie!« schallte Lady Helen vom Sofa her. »Sie sind Healey aus Tickford House. Im Laienspielstück waren Sie Mosca.«
    »Healey ist in meinem Französischkurs in der Lower Sixth«, sagte Biffen.
    »Und er stört dich schrecklich, Humphrey, Schatz. Ich weiß.«
    »Äh, ich habe etwas Zitronengelee mitgebracht«, sagte Adrian.
    »Wie nett. Also, wen kennen Sie denn hier?«
    Adrian sah sich im Zimmer um.
    »Ahm …«
    »Bestimmt kennen Sie Hugo. Er wohnt in Ihrem Haus. Gehen Sie und setzen Sie sich neben ihn, und halten Sie ihn davon ab, meinen Hund zu verderben.«
    Adrian hatte Cartwright nicht bemerkt, der abseits von den anderen am Fenster saß und einem Spaniel Kuchenkrümel zuwarf.
    »Hi«, sagte er und setzte sich neben ihn.
    »Hi«, sagte Cartwright.
    »Du hast deine Prüfung also bestanden?«
    »Bitte?«
    »Deinen C-Kurs Klavierspielen. Weißt du? Im vorigen Semester.«
    »Ach der. Ja, danke.«
    »Klasse.«
    Neue unsterbliche Zeilen vom Noel Coward der Siebziger.
    »Also«, sagte Adrian, »kommst du … äh … bist du bei der Chose hier schon oft gewesen?«
    »An den meisten Freitagen«, sagte Cartwright. »Dich hab ich hier noch nie gesehen.«
    »Na ja … früher bin ich nie eingeladen worden.«
    »Ach so.«
    »Also … äh … was genau passiert hier eigentlich?«
    »Na ja, du weißt schon, es ist wirklich bloß eine Teerunde.«
    Und als die erwies es sich auch. Biffen hatte ein Buchspiel vorgeschlagen, bei dem jeder Bücher nennen mußte,die er nie gelesen hatte. Biffen und Lady Helen riefen Titel klassischer Romane und Theaterstücke aus, und die, die sie nicht gelesen hatten, mußten die Hand heben.
Stolz und Vorurteil, David Copperfield, Die Farm der Tiere, Madame Bovary, 1984, Glück für Jim, Söhne und Liebhaber, Othello, Oliver Twist, Aufstieg und Fall, Howards End, Hamlet, Anna Karenina, Tess von D’Urbervilles
, die Liste ungelesener Bücher, die sie zusammenzustellen vermocht hatten, brachte sie alle zum Kichern. Sie hatten sich darauf geeinigt, daß die Liste bis Ende des Semesters viel obskurer werden müßte. Die einzigen beiden Bücher, die von allen Anwesenden gelesen worden waren, waren
Herr der Fliegen
und
Catch 22
, was nach Biffens Meinung einiges über die Erziehung an englischen Prep Schools aussagte. Das Ganze war eine durchsichtige und, wie Adrian fand, ziemlich schleimige Methode, sie alle dazu zu bringen, mehr zu lesen, aber es funktionierte.
    Trotz der Vornehmheit des Ganzen hatte Adrian sich recht gut amüsiert und nahm sich begeistert vor, mehr Russen als alle anderen zu lesen, da die immer am beeindruckendsten und undurchdringlichsten klangen.
    »Ich meine«, sagte er zu Cartwright, während sie zu Tickford’s zurückgingen, »diese Anstalt hier kann einen doch echt deprimieren. Da ist es keine schlechte Idee, so ein Refugium zu haben, oder?«
    »Nächstes Jahr wird er mein Tutor, wenn ich in der Sixth Form bin«, sagte Cartwright. »Ich will nach Cambridge, und

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