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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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wahrzunehmen. Der frische Wind linderte die Hitze in Körper und Gesicht – und das verband sich gleichsam unmittelbar mit dem Moment des Zorns. Sie fühlte sich so schwach, dass ihr die Glieder immer wieder für einen Augenblick den Dienst versagten; dann stützte sie sich an einen Oberleitungsmast und tat, als wartete sie auf die Straßenbahn. Schließlich setzte sie sich auf eine Parkbank und verlor für lange, hohle Minuten jegliches Bewusstsein von sich und von dem Ort, an dem sie sich befand. Als sie wieder zu Sinnen kam, so wie ein Herz wieder kräftig zu schlagen beginnt, befand sie sich inmitten eines Gedankens, dessen Anfang sie nicht rekonstruieren konnte: Also ist es besser, man gibt … Also ist es besser, man gibt … Kinder standen spielend im Kreis, ihre Rufe flogen wie Funken durch den Park, glitzernde Wassertropfen aus dem Springbrunnen erfüllten die Luft mit feinem Glanz. Sie konnte nicht hinsehen, senkte die wunden Augen und richtete sie auf die dunkle Erde, auf den lindernden, zarten Rasen wie auf ein kühles Balsam. Die sauberen Kinder mit ihren Schleifen im Haar spielten jetzt mit einem peteca -Ball und lebten dabei außerordentlich. Die Rufe durchdrangen Virgínia mühevoll, und einer davon, merkwürdiger als die anderen, kam in ihr zum Stocken, sie käute ihn wieder, verdutzt, und lauschte ihm noch eine Zeitlang nach, fast so, als berührte sie ihn mit den Fingern, kristallisiert in dunklem Scharlachrot, dahinlaufend mit vagem Glanz, ein gewundenes Band … Sie murmelte ihn vor sich hin, ohne ihn zu verstehen, ohne die Welt zu verstehen, entsetzt und ruhig. Die peteca landete vor ihren Füßen. Eines der Kinder rief:
    »Wirf her!«
    Still, ohne eine Bewegung sah sie die Kinder an. Sie kamen auf sie zu, betrachteten sie aufmerksam und neugierig, und die intelligenten kleinen Augen studierten ihr Gesicht, während sie sich ihr näherten wie vertrauensselige Mäuse. Dabei bildeten sie einen Halbkreis aus Warten und Schweigen. Das dünne Mädchen, das weiter auf den Ball wartete, schrie mit hervortretenden Halsadern:
    »Kommt zurück!«
    Da niemand reagierte, trat auch sie näher, stützte die Hände in die Hüften, machte den Körper lang und streckte den Hals. Ihr Gesicht lag in Falten, als schiene die Sonne darauf; sie pflanzte sich vor Virgínia auf und sah sie an. Diese betrachtete die Kinder stumm; auf einmal begann Zorn in ihr hochzukochen, während im Inneren des Körpers eine Welle aus glühenderem Atem wogte:
    »Was ist?«
    Einige der Mädchen hielten die Hand vor den Mund und versteckten ein Kichern.
    »Uff, darf man hier nicht mal schauen!«, sagte die Wagemutigste von allen, mit verschlagenem, zynischem Gesicht, und eröffnete so die Attacke. Alle anderen lachten aufgeregt, bereit für irgendetwas Neues. Schrecken ergriff von Virgínia Besitz, sie presste die Lippen aufeinander, fühlte sich verloren. Hilflos und vorsichtig sah sie die Mädchen an, während ihr leerer Kopf pochte wie ein Herz. Mit einem schnellen, fiebrigen Gedanken, fast schmerzlich vor Intensität, sie musste ihnen gefallen – sagte sie mit leidender, harter Miene, den Blick auf die Kinder gerichtet:
    »Wisst ihr, mir ist nicht gut. Stellt euch vor, ich habe seit zwei Tagen nichts gegessen, ich trinke nur noch Tee!« Fassungslos starrte sie die Kinder an, und diese wichen zurück, überrascht von der Veränderung, sie schienen an ihrer Aufrichtigkeit zu zweifeln und taxierten sie, als wäre das Ganze vielleicht nur ein Märchen.
    »Du lügst«, sagte ein Mädchen mit wachsamen schwarzen Augen, kurzen Zöpfen und einem dunklen, entschlossenen Gesicht.
    »Nein, tue ich nicht, es ist wahr, ich schwöre es!« Ihr heißer Atem waberte um ihr Gesicht herum – in plötzlicher Inspiration sagte sie zu dem Mädchen, das die Anführerin der Gruppe zu sein schien: »Spür mal.« Sie streckte die Hand aus und hielt sie dem Mädchen an den Arm, wartete ab, ob sich in ihrer Miene abzeichnete, dass sie die Hitze ihres Fiebers gespürt hätte. Kurz darauf sah sie mit großer Befriedigung, wie sich mehrere eilige kleine Hände in ihre Richtung reckten und ihr mit neugieriger Zurückhaltung an den Arm fassten, an die Finger, an die Hand. Ein Junge, der gerade vorbeilief, blieb stehen, kam herüber und berührte Virgínias Arm, ohne zu wissen, warum, behutsam und verblüfft. Er zögerte, ließ die Hand hoch zur Schulter wandern.
    »Sie ist wirklich ganz heiß!«, sagten die Kinder, wechselten erstaunte Blicke und bewegten

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