Der Lüster - Roman
plauderten sie ein wenig, er verlor seine Kühle, scherzte so innig, so fern … in dem weißen sauberen Sprechzimmer, wo er sie als irgendeine Beliebige sah, sie ohne Traurigkeit begehrte, er erwartete nicht einmal, dass sie ihm Zugeständnisse machte, wollte sich einfach nur begehren lassen, fröhlich, schelmisch und zerstreut, vergnügt über die eigene Männlichkeit. Und dabei doch ernst, die Augen aufmerksam und beweglich.
»Aber Herr Doktor …«
Er trat kurz zurück, betrachtete sie streng und imitierte ihre feierliche, heisere Stimme: »Aber Herr Doktor!« … Eine leichte Last drückte ihr auf den Hals, auf die Arme, sie spürte in Kehle und Mund einen formlosen Geschmack nach Blut, wie immer, wenn sie Angst hatte und Hoffnung – warum nicht die eine oder andere Vorstellung ablegen und sich auf das Abenteuer einlassen, ja, das Abenteuer, das er ihr gar nicht anbot. Aus einem neuen Mittelpunkt in ihrem Körper, aus dem Unterleib, aus den neugeborenen Brüsten breitete sich ein Gedanke aus, jäh, verzweifelt und zutiefst glücklich, ohne Worte verlangte es sie nach ihm, und sie wurde augenblicklich wieder zu einem Ding aus der Zeit vor Vicente. Ohne Bedauern, wie im Urlaub, sich in die Zukunft stürzen! Und da er sich noch etwas näher zu ihr beugte, drückte sie unbeholfen, eilig, den Mund an diese Wange, die rau war wie ein Mann, nahe am Ohr … Er warf ihr einen eiligen Blick zu, verblüfft und neugierig! Sie zögerte mit offenen Augen, das Sprechzimmer drehte sich rot, eine schwere, durchdringende Hitze stieg ihr hoch in den Hals, ins Gesicht, während sie zu ihrer Rechtfertigung ein schwieriges, benommenes Lächeln versuchte. Er sah sie einen Moment lang aufmerksam an, ließ gewandt ein paar Alltagsfloskeln fallen, und plötzlich löste sich alles in einem einfachen Scherz. Sie sah ihn an, trocken und glühend, streckte ihm die Hand hin, er sagte, sie zur Tür geleitend: Machen Sie sich keine Sorgen, die Übelkeit bedeutet nichts, das können Sie auch Ihrem Freund sagen …, sie verließ die Praxis, trat in den Aufzug, der dunkel war, blutrot, düster, prunkvoll und so frisch. Als ihr die staubige, helle, schrille Luft der Straße entgegenschlug, entfernte sie sich mit eiligen Schritten, frei. Bald aber ging sie langsamer durch den Nachmittag, suchte sich breite Straßen. Eine gewisse gleichgültige, undurchsichtige Gelassenheit machte ihr die Bewegungen leicht und den Rest des Tages einfach – sie würde vergessen, Virgínia, sie würde vergessen. Aber dann strich eine Frau an ihr vorbei, mit einem Parfüm, das nach Zitrone, Wasser und Gras duftete, erschrocken und durchdringend ein Duft nach Zitrone und Gras – wie ein Pferd gewannen ihre Beine eine nervöse, fröhliche und hellsichtige Kraft. Granja Quieta. Sie atmete das Parfüm, das rätselhaft war und sich doch herschenkte. Denn es war derart … derart lebendig … derart …, sie gab es auf, zog den Kopf ein, ihr fehlte der Mut, um noch weiterzugehen, so stark war ihre Hoffnung. Die Sonne glänzte blass auf dem Gehsteig, ein kühler Wind durchfuhr den Nachmittag auf ganzer Länge, sie drängte den Körper vorwärts, der eng war vor Kraft, das Herz zitternd, als hätte ein reines Gefühl es durchdrungen… Eine große Müdigkeit, gemacht aus Ekstase, Erstaunen, Einwilligung und Parfüm, ergriff von ihr Besitz, und ohne sich zu sorgen, erweicht, spürte sie, dass ihre Augen sich mit Tränen füllten um den Arzt und dass ihr die Tränen allmählich lau und strahlend über die Wange rannen. Sie trat in einen Hauseingang und schnäuzte sich; sie wollte sich niederlassen auf diesem dahintreibenden, schillernden und harten Gefühl, aber sie wusste nicht, auf welchen Gedanken sie diese Empfindung ausrichten sollte, so unbegreiflich und flüchtig war die Welt.
Hinterher begriff sie, dass der Arzt ihr versichert hatte, dass sie nicht schwanger sei … Wie Vicente gelacht hätte. Sie selbst dachte, dass sie niemals Kinder haben würde. Nie hatte sie davor auch nur Angst gehabt, es war, als wüsste sie durch eine ruhige Gewissheit ihrer geheimsten Natur, dass ihr Körper das Ende ihres Körpers war, ihr Leben ihr letztes Leben. Ach, sie mochte Kinder durchaus; das Leben mit ihnen war so erfüllend … so … – Der Rest verlor sich in einer kraftlosen, fast ausdruckslosen Geste. Aber wie ein Leben begleiten, das schwächer war als ihr eigenes? sie wich Kindern sorgsam aus, und begegnete sie ihnen doch, so packte sie ein schneller Wunsch:
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