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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Welt geworfen, oder täuschte sie sich da? von überall brach er irgendwohin auf. So sagte er über jemanden: Auf diese Weise sein Leben zu vergeuden … Und sie rief innerlich: Aber nein, doch nicht das Leben vergeuden, so etwas gibt es doch gar nicht … er stürzte die Dinge auf eine merkwürdige, unlösbare Ebene. Ich war nicht glücklich, mir fehlte etwas, das mir Befriedigung verschafft hätte – sagte er, und abermals entdeckte er für sie fast eine Art zu denken, so neu, dass es wehtat, als würde ein Fluss aus seinem Lauf gerissen. Ohne Worte vermittelte er ihr etwas über Dinge, die sie nie gesehen hatte. Sie erzählte ihm:
    »Manchmal verbringe ich die Tage mit einer Hoffnung, die ist so … so völlig … Und plötzlich stehe ich ohne Hoffnung da …«
    »Hoffnung worauf?«, fragte er interessiert.
    »Auf nichts Bestimmtes …«
    »Wie das denn?«, hakte er nach, »das musst du doch wissen …« Aber sie wusste es nicht zu erklären und wunderte sich über Vicentes Unverständnis. Später erfuhr sie, dass er es verstanden hätte, wenn sie gesagt hätte: »Den halben Tag habe ich mich wohl gefühlt, die andere Hälfte unwohl.« Sie ging dazu über, sich in Vicentes Worte zu verwandeln, und manchmal war ihr, als wären es mehr als nur Worte, was sie da veränderte. Just an diesem Nachmittag hatte sie endlich Vicentes Schwester kennengelernt, die bei Onkel und Tante lebte. Große Brüste, das Gesicht rein, ohne Schminke, darin die feine Nase blass und gebogen; die Arme entblößt, die Augen dunkel und ruhig – aber sie würde schon noch unrein werden, wenn sie an die Reihe kam. Sie las Kriminalromane, und ihre Stimme war ein wenig heiser. Wenn Virgínia sie ansah, verspürte sie einen unerträglichen Neid und beobachtete sie begierig und kalt. Rosita verachtete sie mit Augen ohne Neugier. Virgínia lehnte die Zigarette ab, um ihr zu gefallen, angespannt und würdelos. Sie setzte sich mit den beiden ins Teehaus, aber Rosita war noch nicht einmal naschhaft; sie betrachtete Vicentes »Freundin« mit nackten Augen, während Virgínia versuchte, in ihre Tasse hineinzulächeln, und dabei einen Schmerz verbarg, den die Angst schwierig machte, die eigene Nase im Sinn, die glänzte, das ungekämmte, erschrockene Haar, das sich in dem edlen, schwarzgerahmten Spiegel brach. Sie besaß ein paar Kleider von undefinierbarer Farbe, hellbraun, cremefarben, bläulich, mit einem Ausschnitt etwa auf Halshöhe zwischen rund und oval, aus einer Seide, die weder fließend war noch steif, zerknittert, als käme sie direkt aus dem Koffer – es waren alte Kleidungsstücke, die sie anzog, um gleichsam nicht da zu sein, sie fühlte sich wohl darin, nicht als Verräterin an Brejo Alto. Denn sie trug sie, sooft sie jemanden »in förmlichem Zusammenhang« traf – und diese Tatsache schien ihr schicksalhaft, etwas Außerordentliches und Unüberwindliches, das geradezu nach respektvoller Unterwürfigkeit rief –, da hätte es nicht einmal geholfen, den Gebrauch dieser Kleidungsstücke aufzugeben, so stark war die Kraft der Dinge. Und das verstärkte noch das Unbehagen, das sie und Vicente verspürten, wenn sie sich zufällig auf der Straße begegneten. Als würde der eine den anderen bei etwas ertappen. Sie trank den Tee in kleinen Schlucken, auch Toast hatte sie unauffällig abgelehnt, um Rosita zu gefallen, und aus Opfermut. Sie fühlte sich schuldig an Vicentes Seite – vor ihnen saß die in weißes Leinen gekleidete Jungfrau mit den bloßen Armen, der großen, feingeschnittenen Nase, der blassen Gardenienhaut. Wie wage ich es zu leben. Neidisch war sie schon immer gewesen, das musste man zugeben. Sie erhoben sich, begleiteten Rosita zum Wagen der Tante, wo der Chauffeur auf sie wartete. Sie verabschiedeten sich, Virgínia seufzte vor Erleichterung und Kummer, auf der Straße waren plötzlich so wenige Leute, es wirkte rasch wie ein leerer, ruhiger Sonntag. Sie ging mit Vicente durch die Straßen, ohne ihn anzusehen, bis zur Wohnung. Auch er wirkte irgendwie mitgenommen, behandelte sie mit einer Munterkeit, die zwischendurch abbrach – im Aufzug berührte er sie mit der Hand an der Taille, und sie wich ihm fast heftig aus. Aber im Zimmer wurde sie traurig, zeigte sich gelassen, resigniert, liebte ihn dann mit einem seltsamen, nachdenklichen Ton, den sie selbst nicht kannte, liebte in ihm die unzugängliche Schwester, den toten Vater und die tote Mutter. Da das Ende der dreimal pro Woche die Tür hinter sich zuzog,

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