Der Mackenzie Coup
Reaktion, fort, »der Maler, den ich vorhin erwähnt hatte … ein junger Bursche aus meiner Bekanntschaft. Er heißt Westwater …«
7
Hugh Westwater – »Westie« für diejenigen, die ihn gut kannten – saß gemütlich inmitten des Chaos seiner Dachgeschosswohnung und rauchte seinen soundsovielten Joint. Das Wohnzimmer mit dem Erkerfenster war zu seinem Atelier geworden: Über die alte Polstergarnitur, die Westie aus einem Müllcontainer gefischt hatte, waren schmuddelige Laken drapiert; Leinwände lehnten an den Fußleisten, Zeitungsausschnitte und Illustriertenfotos klebten an den Wänden. Fettige Pizzaschachteln und leere Bierdosen bedeckten den Fußboden; manche der Dosen waren zu improvisierten Aschenbechern umfunktioniert. War das reinste Wunder, dachte Westie, dass »die« einem überhaupt noch erlaubten, in den eigenen vier Wänden in Ruhe zu qualmen. Heutzutage durfte man kaum noch irgendwo rauchen: nicht in Pubs, Klubs oder Restaurants, nicht am Arbeitsplatz und selbst in manchen Buswartehäuschen nicht. Als Keith Richards sich bei einem Stadiongig der Rolling Stones in Glasgow auf der Bühne eine ansteckte, hatten »die« eine strafrechtliche Verfolgung in Betracht gezogen.
Wenn Westie an die Obrigkeit dachte, dann nannte er sie immer nur »die«.
Eine seiner ersten Arbeiten für die Abschlussmappe war ein Manifest gewesen – schwarze Druckbuchstaben auf blutrotem Grund.
DIE HABEN’S AUF DICH ABGESEHEN.
DIE WISSEN, WAS DU TUST.
DU BIST FÜR DIE NUR EIN PROBLEM …
Und ganz unten auf der Leinwand hatte, jetzt in Weiß auf Rot, Westies Postskriptum geprangt: ABER KUNST KANN ICH BESSER ALS DIE.
Sein Tutor hatte das lediglich abgenickt und ihm ein »Ausreichend« gegeben. Der Tutor war ein großer Warhol-Fan, und Westies nächste Arbeit deshalb pure Berechnung: eine stilisierte Irn-Bru-Flasche vor einem vanillegelben Hintergrund. Die Beurteilung war diesmal günstiger ausgefallen und hatte – obwohl er es damals natürlich noch nicht wissen konnte – Westies Schicksal besiegelt.
Jetzt befand er sich in seinem letzten Jahr und hatte die Mappe für seine Abschlussausstellung so gut wie beisammen. Erst kürzlich war ihm aufgegangen, dass die bloße Idee einer Abschlussausstellung etwas Absurdes hatte: Wenn man Polwiss oder Philosophie studierte, pinnte man schließlich auch nicht seine Seminararbeiten an die Wände, damit jeder Dahergelaufene sie las. Wenn man seinen Abschluss in Veterinärmedizin machte, ließ man auch nicht Gott und die Welt dabei zuschauen, wie man ein armes Tier aufschlitzte oder ihm den Arm hinten reinsteckte. Aber jede Kunst- oder Design-Hoch- schule im Land erwartete von seinen Studenten, dass sie ihren Dilettantismus zur allgemeinen Begutachtung ausbreiteten. War es versuchte Demütigung? Vorbereitung auf die harte Wirklichkeit des Lebens als Künstler im philisterhaften Großbritannien des 21. Jahrhunderts? Westie hatte den Platz für seine Ausstellung schon zugeteilt bekommen – tief in den Eingeweiden des College am Lauriston Place, direkt neben einem Bildhauer, der mit Stroh arbeitete, und einem »Videoinstallateur«, dessen hauptsächlicher Anspruch auf Unsterblichkeit in einer Endlosanimation einer langsam milchenden Brust bestand.
»Ich kenne meinen Platz«, hatte Westie lediglich gesagt.
Von Banksy im Nachhinein beeinflusst und angespornt durch seinen Erfolg mit der warholesken Irn-Bru-Flasche, hatte sich Westie auf den Pasticcio als die ihm gemäße Kunstform verlegt. Er kopierte etwa eine Landschaft von Constable täuschend originalgetreu, fügte dann aber ein winzig kleines verfremdendes Element hinzu – eine zerknüllte Bierdose etwa, ein gebrauchtes Kondom (fast sein Markenzeichen, wie seine Kommilitonen meinten) oder sonstigen vom Winde verwehten neuzeitlichen Abfall, wie eine Supermarktplastiktüte oder einen Chipsbeutel. Über einem stolzen Stubbs’schen Hengst prangte, hoch am Himmel, ein Düsenjäger. In Westies Version von Raeburns Reverend Walker beim Schlittschuhlaufen bestand der einzige erkennbare Unterschied darin, dass der geistliche Herr jetzt ein blaues Auge und einen genähten Schmiss auf der rechten Wange hatte. Einer seiner Tutoren hatte sich lang und breit über den »Anachronismus in der Kunst« ausgelassen und das anscheinend für eine gute Sache gehalten, aber andere hatten Westie vorgeworfen, er produziere lediglich Kopien – »was mit echter Kunst lediglich das technische Können« gemeinsam habe.
Westie wusste nur
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