Der männliche Makel: Roman (German Edition)
schäbigen kleinen Wartezimmer vor dem Büro der Leiterin des Embassy-Kindergartens, den Lily nun seit etwa drei Wochen besucht. In ihrem Notruf forderte Miss Pettifer, Leiterin der Einrichtung, mein sofortiges Erscheinen. Nachdem sie mir versichert hatte, Lily sei weder erkrankt noch in einen Unfall verwickelt worden, sondern wohlbehalten zu Hause bei ihrem Kindermädchen, teilte ich ihr so ruhig wie möglich mit, ich müsse nun zu einer Vorstandssitzung und hätte jetzt keine Zeit zu reden. Ich fügte hinzu, Elka werde sich sofort mit ihr in Verbindung setzen, um die Sache aus der Welt zu schaffen. Ich nahm ohnehin an, dass Elka sowieso nur zu Hause vor dem Fernseher herumlungerte, sich die Nägel feilte und sich an meiner Kosmetik bediente. Also würde ich sie dazu anhalten, zu tun, wofür ich sie bezahlte, während ich meinen Hintern auf schnellstem Wege zu den Tyrannosauriern in den Konferenzsaal bewegte.
Doch Miss Pettifer blieb hartnäckig und ließ nicht mit sich reden.
»Ich bedaure es wirklich sehr, wenn ich Ihnen Umstände mache, Miss Elliot«, entgegnete sie unverblümt, »aber ich fürchte, dass in dieser Angelegenheit die Eltern, und nur die Eltern, gefragt sind. Es gibt Dinge, die man nicht an ein Kindermädchen delegieren kann. Mir ist klar, wie beschäftigt Sie sind, doch das gilt auch für mich. Da wir in einer knappen Stunde schließen und die Sache keinen Aufschub duldet, würde ich dringend vorschlagen, dass Sie auf der Stelle herkommen. Sicher stimmen Sie mir zu, dass das Wohl Ihres Kindes wichtiger ist als eine Vorstandssitzung.«
Allerdings rückte sie nicht mit weiteren Informationen heraus und verriet mir nicht, was denn so wichtig sein könnte. Warum gebärdet sich die Leiterin eines Kindergartens wegen der Launen eines knapp dreijährigen Mädchens so, als hätte die Kleine versucht, den Laden anzuzünden, oder, ein Schrotgewehr schwenkend, einen Amoklauf angedroht? Was zum Teufel kann also passiert sein, wenn Lily weder krank noch verletzt ist?
»Ah, Miss Elliot, bitte kommen Sie herein. Tut mir leid, dass Sie warten mussten.«
Ich blicke von dem Wartezimmerstuhl hoch, auf dem ich ungeduldig kauere, und da ist sie, die berühmte Miss Pettifer. Wir sind uns noch nie persönlich begegnet. Als ich vor ein paar Monaten vorbeigeschaut habe, um mir ein Bild von der Einrichtung zu machen und anzufragen, ob ich Lily anmelden könne, hatte ich nur mit ihrer Assistentin zu tun. Und natürlich bringt Elka Lily seitdem hin und holt sie ab.
Miss Pettifer, eine rüstige Frau Anfang fünfzig, die ihr krauses graues Haar zu einem Dutt zusammengefasst hat, hält mir nun die Hand hin und führt mich in ein winziges Büro. Die bunt gestrichenen Wände sind mit zahlreichen Gruppenfotos und niedlichen Buntstiftzeichnungen dekoriert.
Sie bittet mich mit zackiger Stimme, auf dem bunten Plastikstuhl vor ihrem Schreibtisch Platz zu nehmen, womit sie mich sofort auf dem falschen Fuß erwischt. Normalerweise sitze ich nämlich auf der anderen Seite des Schreibtischs. Ich bestimme, wann eine Besprechung beginnt und worum es geht.
Ein seltsames, unwirkliches Gefühl.
»Miss Elliot, darf ich Sie Eloise nennen?«
Ich nicke wortlos. Herrje, denke ich dabei. Jetzt komm endlich auf den Punkt und erzähl mir, was los ist. Ich habe keine Zeit für das ganze Drumherum. Ich habe überhaupt keine Zeit.
Zum Glück scheint sie nicht zu den Menschen zu gehören, die die Dinge beschönigen, und redet nicht lange um den heißen Brei herum.
»Eloise, ich fürchte, wir haben Schwierigkeiten mit Lily, von denen Sie meiner Ansicht nach unbedingt erfahren sollten. Deshalb ist es meine Pflicht als Leiterin dieser Einrichtung, Ihnen einige … sagen wir mal persönliche Fragen zu stellen.«
Ich starre sie entgeistert an und traue meinen Ohren nicht. Was kann ein knapp dreijähriges kleines Mädchen angestellt haben, dass man gleich die spanische Inquisition auffahren muss?
»Schießen Sie los«, erwidere ich so ruhig wie möglich, obwohl mein auf stumm geschaltetes Telefon auf meinem Knie seit meiner Ankunft ununterbrochen blinkt, weil ich Anrufe aus dem Büro verpasst habe.
Doch Miss Pettifer reißt mich aus meinen Grübeleien.
»Eloise, ich möchte ganz offen zu Ihnen sein. Sie sind alleinerziehend, das weiß ich, und außerdem beruflich stark eingespannt. Sie leisten Großartiges. Ich lese täglich begeistert die Post und bewundere Ihre Leitartikel sehr …«
Ich nicke mechanisch und bin wegen der Vorschusslorbeeren
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