Der männliche Makel: Roman (German Edition)
erleichtert und dankbar.
»Aber abgesehen von Ihrer Karriere ist Mutter der vermutlich anspruchsvollste Beruf, den es gibt. Darf ich fragen, ob Sie Unterstützung bekommen? Außer Ihrem Kindermädchen? Von Ihrer Familie? Ihren Eltern vielleicht?«
»Nein, ich fürchte nicht.«
»Es gibt nämlich einige wundervolle Selbsthilfegruppen für Alleinerziehende hier. Ich würde Ihnen gerne eine empfehlen …«
Selbsthilfegruppen? Ich starre sie verdattert an. Für wen hält die mich eigentlich? Eine Sozialhilfeempfängerin?
»Dort könnten Sie Hilfe bei vielen Problemen finden, die sich einer viel beschäftigten berufstätigen Mutter so stellen. Es wäre sicher eine Erleichterung für Sie. Ich muss Ihnen nämlich leider etwas Unangenehmes mitteilen. Das tue ich wirklich ungern. Es ist ein Problem für uns, das für Sie bedauerlicherweise ein noch größeres Problem werden könnte.«
Ich bin machtlos dagegen, dass ich ihr über den Schreibtisch einen panischen Blick zuwerfe. Doch zum Glück setzt sie ohne große Umschweife sofort zum Todesstoß an.
»Es gab hier heute einen bedauerlichen Zwischenfall, weshalb ich mich gezwungen sah, Sie herzubitten.«
»Was ist passiert?«
Gut, inzwischen kauere ich auf der Stuhlkante. Meine Handflächen sind schweißnass, mein Atem geht stoßweise, und es krampft mir die Eingeweide zusammen. Ich mache mich auf das Schlimmste gefasst.
»Leider hatte Lily einen heftigen Streit mit Tim O’Connor, einem kleinen Jungen in ihrer Gruppe. Es flossen Tränen, und es wurde herumgeschrien. Aber das Besorgniserregendste war, dass Lily ihn verprügelt hat, bis er weinte …«
»Was hat sie? Sind Sie sicher?«
»Ansonsten hätte ich Sie nicht angerufen«, entgegnet sie und betrachtet mich unverwandt.
»Das ist ja unfassbar! So etwas hat Lily bis jetzt noch nie getan!«
Ich will mich schon empören, dass ich es doch sicher wüsste, wenn sie zu einem solchen Verhalten neigen würde. Aber dann halte ich mir plötzlich voller Schuldgefühle vor Augen, woher ich das denn wissen sollte. Wann habe ich, abgesehen von unseren kostbaren gemeinsamen Sonntagen, denn die Zeit, um mich mit dem armen Kind zu beschäftigen? Von Schwierigkeiten zu Hause würde ich nur erfahren, wenn Elka es mir erzählt, und Elka erzählt mir seit einiger Zeit gar nichts mehr. Inzwischen komme ich so spät nach Hause, dass wir meistens nur per Post-it-Zettel an der Tür der Mikrowelle kommunizieren.
Also sage ich nichts, sondern sitze nur still da und lausche dem Rauschen des Blutes in meinem Kopf, während Miss Pettifer gnadenlos weiterredet.
»… natürlich können wir so ein Verhalten nicht dulden. Bei uns gilt eine Null-Toleranz-Regel, was schlechtes Benehmen betrifft. Außerdem erwarten wir von den Kindern hier, dass man ihnen bereits die Grundlagen von guten Manieren und höflichem Umgang mit anderen beigebracht hat …«
»Aber … warum hat Lily ihn denn gehauen? Wissen Sie, wieso sie gestritten haben?«
»Ach ja, nun wird es ein wenig heikel und persönlich. Ich hoffe, dass Sie sich jetzt nicht gekränkt fühlen, aber das Thema war Lilys Vater.«
Vor Panik, Stress und Schock verschlägt es mir vollends die Sprache.
Es herrscht Schweigen. Ein schreckliches Schweigen, das mir alles zusammenkrampft.
»Sie ziehen Lily alleine groß, und Sie können mir glauben, dass ich weiß, wie schwierig das ist, Eloise«, sagt Miss Pettifer. Dabei klingt sie beinahe sanft, wofür ich ihr in meinem momentanen Zustand seltsam dankbar bin. »Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?«
Ich nicke wortlos.
»Haben Sie noch Kontakt mit Lilys Dad?«
Lilys Dad.
Oh Mist, verflixt und zugenäht. Ich traue meinen Ohren nicht. Und nun schaut sie mich erwartungsvoll an.
»Nein … nicht wirklich …«, ist das Einzige, was mir einfällt. Jetzt hat sie mich erwischt.
»Denn in den kommenden Jahren wird Lily aller Wahrscheinlichkeit nach mehr über ihn erfahren und auch Zeit mit ihm verbringen wollen. Was natürlich ihr gutes Recht ist. Auch Kinder, die bei nur einem Elternteil aufwachsen, müssen Mutter und Vater kennen. Ungeachtet der Umstände haben sie einen Anspruch darauf.«
Dazu kann ich absolut nichts sagen, weshalb ich sie nur so ruhig wie möglich ansehe.
»Verzeihen Sie mir meine Beharrlichkeit, Eloise. Mir ist klar, wie unangenehm Ihnen das ist. Aber ich will nur Lilys Bestes und muss Ihnen darum diese Fragen stellen. Auch wenn Ihre Trennung von diesem Mann noch so unschön war, ist er dennoch der Vater des
Weitere Kostenlose Bücher