Der männliche Makel: Roman (German Edition)
Kindes und hat aus diesem Grund Rechte.«
»Ja, ich weiß … aber Sie müssen verstehen …«
Viel Spaß beim Beenden dieses Satzes, denke ich.
Wie soll ich ihr das nur erklären?
»Sicher haben Sie triftige Gründe dafür, dass Sie ihm den Kontakt mit ihr verweigern, daran besteht kein Zweifel. Ich habe so etwas schon öfter erlebt, als Sie sich vorstellen können, und ich versichere Ihnen, dass es unumgänglich ist. Vergessen Sie nicht, dass er sich an das Familiengericht wenden und ein Umgangsrecht einklagen kann, wenn er das möchte. Und kein Richter in diesem Land würde einem Vater diesen Wunsch verweigern. Glauben Sie mir, Sie möchten nicht erleben, dass Lily Ihnen als Jugendliche Vorwürfe macht, weil Sie ihr verbieten, ihren Dad zu sehen. Das wäre einfach nicht richtig und außerdem nicht gesund für sie. Gut, es geht mich nichts an, aber ich bitte Sie inständig, auf mich zu hören. Bauen Sie eine Brücke zu diesem Mann, ganz gleich, wie schwer Ihnen das auch fallen mag. Denn, und denken Sie an meine Worte, Lily wird das selbst in die Hand nehmen, wenn Sie es nicht tun.«
»Nein, wird sie nicht.«
Erstaunt mustert sie mich über den Schreibtisch hinweg. Offenbar ist sie Widerspruch nicht gewohnt.
»Verzeihung?«
»Das heißt, Lily wird ihren Vater nicht finden können.«
»Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz.«
»Sie wird nicht in Erfahrung bringen können, wer er ist oder wo er wohnt, weil ich das selbst nicht weiß. Ich hatte nie eine Beziehung mit ihm. Das heißt … ich kenne seinen Namen und seinen Wohnort nicht … ich weiß gar nichts über ihn.«
Plötzlich bereue ich meine Offenheit und würde meine Worte am liebsten zurücknehmen. Ich klinge ja wie eine dieser billigen blondierten Tussis mit aufgesprühter Sonnenbräune, die bei einem One-Night-Stand geschwängert worden sind und den Namen des Typen vergessen haben.
Inzwischen betrachtet Miss Pettifer mich neugierig.
»Und nein, ich schwöre, es ist auch nicht so, wie Sie denken«, fahre ich mit einem tiefen Seufzer fort, wohl wissend, dass ich mich nicht länger vor dem Thema drücken kann. Die Stunde der Wahrheit ist da.
Allerdings fällt es mir nicht leicht, sie auszusprechen, weil ich nie darüber rede und meistens nicht einmal daran denke. Außer meiner Familie kennt nämlich niemand die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit, und eigentlich möchte ich, dass das auch so bleibt. Doch da Miss Pettifer mich weiter erwartungsvoll anblickt, habe ich keine andere Wahl, als ihr reinen Wein einzuschenken.
»Ich habe mich künstlich befruchten lassen.«
Ich gebe mir Mühe, das ruhig und ohne Verlegenheit zu sagen. Ach herrje, habe ich seit Bekanntgabe meiner Schwangerschaft in der Redaktion nicht genug Gerüchte und hinterhältige Anspielungen auf Lilys Vater erdulden müssen? Natürlich samt und sonders total übertrieben und völlig daneben.
Die wahre Geschichte lautet nämlich folgendermaßen: Vor knapp vier Jahren, an dem desaströsen Abend meines dreißigsten Geburtstags, habe ich eine Entscheidung getroffen, die mein Leben verändern sollte. Nicht etwa zu heiraten oder mir einen Lebenspartner zu suchen, um die Einsamkeit zu vertreiben … nein, das Alleinsein störte mich nicht. Anders als viele meiner gleichaltrigen Kolleginnen wollte ich nicht auf Biegen und Brechen jemanden kennenlernen. Das Singledasein schreckte mich nicht.
Wenn ich, was selten geschah, mit einem Mann ausging, konnte ich das Ende der Romanze jedes Mal schon von Anfang an voraussehen. Ich war schon immer ein Mensch, der die eigene Gesellschaft der der wenigen Männer vorzog, die den Mumm hatten, sich überhaupt mit mir zu verabreden. Außerdem hatte ich keine Lust auf Liebeschaos.
Natürlich hatte ich früher Beziehungen und konnte mir wie jede andere etwas darauf einbilden, dass mir im College das Herz gebrochen worden war. Vor Lilys Geburt bin ich hin und wieder mit jemandem ausgegangen. Doch die Verabredungen endeten für mich immer wie ein Vorstellungsgespräch ohne Ergebnis. Wie hoch ich meine Chancen einschätze, je einen Lebenspartner zu finden? Sehr gering.
Nein, das heißt nicht, dass ich je einsam war … jemand, der achtzehn Stunden am Tag arbeitet, kann gar nicht vereinsamen. Allerdings war ich seit dem Abend meines kläglichen und traurigen dreißigsten Geburtstags von einer düsteren und unerklärlichen Angst davor erfüllt, irgendwann einmal ganz allein zu sein. Denn wie mir zu meinem Entsetzen dämmerte, besteht
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