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Der magische Reif

Der magische Reif

Titel: Der magische Reif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Prévost
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eifersüchtig, das hast du sicher gemerkt. Ich hatte es satt, dass er mich ständig wie sein Eigentum behandelte. Und außerdem, seit du wieder aufgetaucht bist, ich weiß nicht... Zwischen Jerry und mir war es nicht mehr wie vorher.«
    Wieder verstummte sie und Samuel kniff fest die Augen zu, als könnte er beeinflussen, was sie im nächsten Augenblick sagen würde.
    »Wenn ich ehrlich zu mir bin, Sam, glaube ich, dass ich dich auch liebe. Aber ich möchte mir meiner Gefühle sicher sein und . . .«
    Sie sprach auf einmal mit gedämpfter Stimme. »Warte, es kommt jemand die Treppe hoch . . . Wahrscheinlich mein Vater, er lässt mich kaum noch aus den Augen. Er hat Angst, dass ich überschnappe und mich aus dem Fenster stürze oder was weiß ich.
    »Ja, Papa?«, sagte sie laut. »Moment, ich ziehe mich gerade an!«
    Man hörte Schritte, dann flüsterte sie:
    »Tut mir leid, ich rufe dich so bald wie möglich wieder an. Falls .. . falls du wegmusst, bevor wir uns noch mal gesprochen haben, versprich mir nur, dass du zurückkommst. Ich vertraue dir, Sam, ich weiß, du wirst es schaffen. Und . . . wenn ich schon dabei bin . . . Wenn ich dich das nächste Mal küsse, möchte ich gern, dass du wach bist, einverstanden?«
    Sam lief so schnell durch die Krankenhausflure, dass Besucher und Patienten sich erstaunt fragten, wovor er derartig die Flucht ergriff. Doch in Wahrheit lief Sam keineswegs und flüchtete auch nicht vor irgendetwas: Er flog einfach nur. Alicia liebte ihn, sie hatte es ihm eben gesagt! Sie hatte gerade Jerry verlassen und auch wenn sie noch zu zögern schien, hatte Sam keinen Zweifel, für wen sie sich entscheiden würde . . . Sobald er seine Mutter aus Rudolfs Klauen befreit hätte und sein Vater aus dem Koma erwacht wäre, würde er so schnell wie möglich zu ihr eilen. Alles würde wieder so werden wie vor diesen drei Jahren der Einsamkeit und Trauer. Oder nein, es würde noch tausendmal besser werden! Er durchquerte die chirurgische Abteilung und kam in die Eingangshalle der Klinik, von dort fand er mühelos den Weg. Lili hatte mit der für sie typischen Feinfühligkeit darauf bestanden, dass er Allan allein besuchte, und versichert, sie brenne geradezu darauf, die Comics zu lesen, die sich auf seinem Nachttisch stapelten. Nach dem Eintreffen ihrer Mutter würde sie bald nachkommen. Auch über den Ausgang seines Gesprächs mit Alicia hatte sie keine einzige Frage gestellt, sondern nur lächelnd festgestellt, wie sehr er auf einmal strahlte. So eine Cousine war wirklich Gold wert . . .
    Doch kaum hatte er das Zimmer 313 betreten, verließ ihn seine Hochstimmung mit einem Schlag wieder. Er hatte diese kühle, sterile Atmosphäre vergessen, die viel mehr an die Kälte eines Leichenschauhauses erinnerte als an einen Ort der Ruhe und Erholung. Vergeblich hielt man nach Anzeichen organischen Lebens Ausschau, das einzig Lebendige schienen die blinkenden Kontrolllampen und monotonen Piepgeräusche zu sein. Allan lag flach ausgestreckt auf seinem Krankenbett und sein Zustand schien sich deutlich verschlechtert zu haben: Ein kompliziertes Gewirr blauer Schläuche verband Mund und Nase mit einem aufwendigen Gerät, das wie eine metallene Krake aussah. Es war mit Bildschirmen und verschiedenfarbigen Flaschen bestückt, die seine Atmung und Ernährung unterstützten. Sein Körper wirkte noch immer so erschreckend mager wie vor einer Woche. Zahlreiche Kompressen auf Brust und Hals ließen darauf schließen, dass seine Wunden nur schlecht verheilten.
    Samuel warf einen Blick auf den Monitor, der die Herzfrequenz aufzeichnete: durchschnittlich 52 Schläge pro Minute. So schwach war sie bislang noch nie gewesen . . . Er berührte das knochige Handgelenk, das unter der Bettdecke hervorschaute, und fröstelte unwillkürlich: Sein Vater war kalt wie Marmor. Er musste unbedingt mit ihm sprechen, Kontakt zu ihm aufnehmen . . .
    »Papa? Ich bin's, Sam. Es tut mir leid, ich . . . ich konnte Mama noch nicht zurückbringen. Es ist unglaublich viel passiert in den letzten Tagen und . . . Ich musste mich zuerst um Alicia kümmern.«
    Und er begann, ihm haarklein zu erzählen, wie Rudolf das junge Mädchen entführt hatte, wie es ihm nach einer langen Irrfahrt von Ägypten nach Rom gelungen war, sie zu befreien, und sie dann in die Zukunft geraten waren. Den Brand im Haus der Großeltern verschwieg er wohlweislich, ebenso wie die Tatsache, dass er selbst in die Klinik eingeliefert werden musste. Im Gegensatz zum letzten Mal

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