Der magische Reiter reiter1
wirbelten und tanzten mit graziler Anmut, als seien ihre Bewegungen eine fließende Sprache. Wenn das stimmte, was sagten sie dann? Die hin und her schwingenden, sich drehenden, springenden Gestalten standen ihr deutlich vor Augen, doch nach einer Weile verblassten sie im Licht des Mondsteins.
Das Singen setzte sich noch eine Weile fort, und obwohl Karigan die Sprache nicht kannte, schien sie die Worte zu verstehen:
Im hellen Glanz von Laurelyns Schritten,
im strahlenden Licht des Mondmannstrahls,
verlassen wir die Schatten der Nacht
und treten ins Reich der Giftträume ein.
Unsere Herzen werden zu der Stunde jubeln,
wenn das Licht die Finsternis besiegt,
und wenn das Gift aus dem Herzen vertrieben ist,
tanzen wir einträchtig nach Laurelyns Schritten.
Der Gesang verklang, und die Männer betraten die Lichtung
und griffen den Rhythmus der unhörbaren Musik an jener Stelle wieder auf, an der die Frauen geendet hatten. Sie tanzten ein Weilchen, doch ebenso gut hätten Jahrtausende verstreichen können.
Karigan nahm schemenhaft wahr, wie das Licht der Abenddämmerung dem Tagesanbruch wich. Noch immer funkelten Sterne am Himmel, der allmählich den bläulichen Schein der helleren Stunden annahm. Der Tanz ging weiter, und die Melodie eines Lieds, das sie nicht hören konnte, wurde durch ihre Träume getragen. Als der Tanz endete und die Frauen wieder die Lichtung betraten, machte Karigan Anstalten, sich zu ihnen zu gesellen, doch die kühlende Hand auf ihrer Stirn ließ sie in noch tieferen Schlaf versinken, in dem keine Träume sie mehr störten.
Als sie erneut erwachte, standen noch immer die Sterne am Himmel, und die Mondsteine schimmerten wie zuvor in den Wäldern, und die Lichtung war gar nicht sehr viel anders als in ihren Träumen, nur dass jetzt keine Tänzer mehr dort waren. Es kostete sie unendliche Mühe, die Augen zu öffnen, so sehr war sie von Mattigkeit erfüllt.
»Du bist also wieder bei uns, Kleines.«
Karigan erkannte die Stimme, doch den Sprecher sah sie nicht. Als sie sich auf die Ellbogen kämpfte, begannen die Lichtung und die Sterne sich vor ihren Augen zu drehen.
»Nichts dergleichen«, sagte die Stimme. »Dafür bist du noch zu schwach.«
Hände drückten ihre Schultern zurück. Als das Schwindelgefühl sich legte, kniete ein Jüngling neben ihr, wie sie noch nie zuvor einen gesehen hatte. Dem Äußeren nach war er jung, doch sein sanftes Gebaren konnte nicht das Gewicht
der Jahre überdecken. Langes Haar schimmerte silbern im Sternenlicht, aber sie war sich nicht sicher, ob es wirklich von silberner Farbe war. Große helle Augen mit einem Hauch von Grau sahen sie aus einem feingeschnittenen Gesicht heiter an. Er war schlank wie eine Ähre, doch nicht ohne Masse und Muskeln.
»Wer …«, krächzte sie. Ihr Mund und ihr Hals waren wie Pergament.
Er hob einen Wasserschlauch an ihre Lippen und half ihr beim Trinken. Das Wasser war kalt und rein, als hätte man es aus den tiefsten Tiefen heraufgeholt, von einem Bergquell, der sich auf eine sonnenbeschienene Lichtung ergoss, an deren Rand die Bäume höher aufragten, als sie es jemals gesehen hatte.
»Ich heiße Somial«, sagte der Jüngling. »Somial aus Eletien oder dem Eltforst, wie dein Volk es nennt.«
Karigan hätte sich fast verschluckt. Eletien! »Eleter sind Legende«, wisperte sie.
»Wenn das so ist«, sagte er mit einem Lächeln, »muss ich wohl eine Legende sein.«
»Estral hat immer behauptet, dass es noch Eleter gibt, doch ich habe ihr nie geglaubt.«
»Dann muss deine Estral ja sehr gescheit sein.«
»Pferd …« Sie wollte sich aufsetzen, doch Somial drückte sie bestimmt wieder auf den Boden zurück.
»Ihm geht es gut«, versicherte er ihr. »Wir haben aufs Beste für ihn gesorgt.«
Karigan wehrte sich nicht mehr. Dazu fehlte ihr die Kraft. »Eine lange Nacht«, murmelte sie.
Somial wölbte eine Braue. »Ja. Diese Nacht und die beiden letzten.«
»Also habe ich …?«
»Ja, Botin. Dein Kampf begann erst, als du die Kreatur aus Kanmorhan Vane erschlagen hattest. Weichfeder erzählte uns von deinem Mut. Solchen Mut findet man nicht oft bei deinem Volk, auch solche Widerstandskraft nicht. Das Gift der Bestie wogte heiß und stark durch deine Adern.«
Karigan wurde das Gefühl nicht los, dass er sich insgeheim über sie lustig machte, doch sein Blick und sein Tonfall waren ernst. »Weichfeder? Wer …?«
»Der graue Adler. Auch er ist in seinem Volk eine Art Bote.«
Karigan schloss die Augen. Die
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