Der magische Reiter reiter1
anblickte, sah er Kariny vor sich. Ihre hohe Stirn und die hellen Augen … Ihre stille Art hatte Karigan allerdings nicht geerbt, sondern das Temperament ihres Vaters.
Stevics Schritte hallten laut in der Eingangshalle wider. Es war ein Rundbau mit Kuppeldach und geädertem Marmorboden. Bronzestatuen und Büsten früherer Verwalter, ernster und gelassener Gelehrter und streng blickender Lehrmeister, blickten ihn stirnrunzelnd von ihren Alkoven aus an. In alle Richtungen zweigten Büros mit Eichentüren ab.
Ein kahlköpfiger Kanzlist saß über einen Stapel Papiere gebeugt an einem Schreibtisch. Stevic stand eine Weile vor ihm, bis der Bedienstete schniefend seine Anwesenheit zur Kenntnis nahm und »Ja?« näselte.
»Ich bin hier, um Rektor Geyer zu sprechen.«
»Rektor Geyer ist in einer Besprechung.« Der Mann vergrub seine Nase wieder in den Papieren und fuhr fort, Stevic zu ignorieren.
Bürokraten, wusste Stevic, konnten schlimmer als Adlige sein. Als Kaufmann hatte er seinen Teil an Steuereinnehmern und Handelsbeamten kennengelernt. »Ich muss den Rektor auf der Stelle sprechen.«
»Habt Ihr einen Termin?«
»Gewissermaßen.«
»Für jetzt sind keinerlei Termine eingetragen.« Der Kanzlist warf nicht einmal einen Blick in den Terminkalender auf seinem Schreibtisch.
»Ich habe ein Schreiben von Rektor Geyer erhalten, in dem er mich gebeten hat, ihn gleich bei meinem Eintreffen aufzusuchen. «
»Habt Ihr es bei Euch?«
Stevic runzelte die Stirn. »Ich – ich habe es verbrannt.«
»Verstehe.« Obwohl Stevic vor ihm aufragte, brachte der Kanzlist es noch immer fertig, ihn von oben herab zu behandeln. »Rektor Geyer ist beschäftigt. Entweder habt Ihr einen Termin, oder Ihr habt keinen.«
Stevic fragte sich, ob der Kanzlist Adlige auf die gleiche Weise abfertigte oder ob sie eine Sonderbehandlung erfuhren. Er stützte sich mit den Händen auf dem überaus ordentlichen Schreibtisch des Kanzlisten auf und beugte sich vor, so dass er dem Mann in die Augen sehen konnte. »Ihr werdet sofort einen Termin für mich vereinbaren, sonst – bei Breyans Gold! – teile ich dem Rektor mit, dass sein Kanzler lieber Gedichte liest, statt seiner Pflicht nachzugehen.«
Der Kanzlist leckte sich die Lippen und schluckte nervös. »Also gut, aber der Rektor wird nicht erfreut sein.«
»Ich bezahle dieser Schule genug Geld, damit meine Tochter sie besuchen kann. Ich nehme an, ein Teil dieser Studiengebühren geht in Euer Gehalt und in das des Rektors. Es erscheint mir nur recht und billig, dass der Rektor für mich zu sprechen ist. Sofort .«
»Natürlich, mein Lord.«
Also fertigte der Kanzlist Adlige tatsächlich auf diese Weise ab. Vielleicht war er ja doch kein so übler Kerl. »Ich bin kein Lord. Ich bin Stevic G’ladheon, Oberhaupt des Clans G’ladheon. Zu Euren Diensten.« Er legte die Hand aufs Herz und verbeugte sich leicht, wie es Sitte war.
Der Kanzlist schniefte und warf einen Blick auf die feine Kleidung. »Oh. Ein Kaufmann, nehme ich an. Na schön. Folgt mir.« Er raffte seine Amtsrobe und schritt voran, wobei seine Sandalen flüsternde Geräusche auf dem Marmorboden verursachten.
Sie stiegen zwei mit rotem Filz ausgelegte Wendeltreppen hinauf und gingen im Zickzack durch zahllose abzweigende Gänge, bevor sie vor einer riesigen Doppeltür aus Eiche stehenblieben. Der Kanzlist zögerte und blickte Stevic über die Schulter an. Als er die entschlossene Miene des Kaufmanns sah, leckte er sich wieder die Lippen und klopfte an.
»Wer da? «, kläffte von drinnen eine Stimme.
»Rektor Geyer, ich …«
»Oh, Metterli. Tretet ein.«
Der Kanzlist zuckte mit den Achseln und schob die Tür auf. Rektor Geyer, ein distinguiert wirkender Mann mit schneeweißem Haar und hellen blauen Augen, saß hinter seinem gewaltigen Schreibtisch und war gerade dabei, einen Mast in das Oberdeck eines großen Modellschiffs einzusetzen.
»Ich sehe, wie beschäftigt er ist«, wisperte Stevic dem Kanzlisten zu. Metterli lief rot an.
Der Rektor räusperte sich, als er Stevic bemerkte, und schob das Modell zur Seite. Er starrte den Kanzlisten an und wartete auf eine Erklärung.
»Clanoberhaupt Stevic G’ladheon will Euch sprechen, Rektor«, sagte Metterli. Ohne ein weiteres Wort verließ er rückwärts gehend das Büro und schloss die Tür hinter sich.
Stevic ignorierte die eindrucksvolle Büchersammlung auf den Regalen und die seltenen handgezeichneten, gerahmten Karten an den Wänden, die ihn normalerweise interessiert
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