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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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gewissermaßen Bestandteil des Vertrags.« Sie verzog keine Miene.
    »Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz.«
    »Giuliano war offenbar an meiner Gesellschaft gelegen.«
    Leonardo konnte es kaum glauben. » Dimmi , meinst du damit, dass…«
    »Nein, das meine ich nicht! Ich bin keine Kurtisane«, erwiderte Lisa leicht ungehalten. »Ich soll einfach in seiner Nähe sein. Als Ruhepol für seine müden Augen, wie er es ausdrückt.«
    »Und dein Mann ist damit einverstanden?«
    »Francesco ist mit allem einverstanden, was ihn reicher macht.« Lisa zuckte die Achseln. »Giuliano ist ein kultivierter und interessanter Mensch, und er sorgt dafür, dass es mir an nichts fehlt. Ich hätte es schlechter treffen können.«
    »Und ein Kunstliebhaber ist er also auch?«
    Lisa nickte. »Liebhaber und Kenner, weit mehr noch als der Papst. Und ich habe dein Werk offenbar mit der nötigen Begeisterung beschrieben.«
    »Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich dir dafür dankbar sein soll.«
    »Hast du mein Porträt dabei?«, fragte Lisa plötzlich gespannt. Und als Leonardo nickte, klatschte sie in die Hände wie ein kleines Kind. »Ist es ganz fertig?«
    Leonardo schüttelte müde den Kopf. »Es wird nie ganz fertig sein. Jedes Mal, wenn ich es mir anschaue…« Er brach ab. Es war einfach unmöglich, zu erklären, was ihn an diesem Bild seit Jahren nicht losließ. Vielleicht wollte er dieses eine Mal in seinem Leben Perfektion erreichen. Wider besseres Wissen. Oder vielleicht erkannte er unbewusst einen Fehler in der Arbeit, den er aber noch nicht wirklich ausfindig machen konnte.
    Lisa nahm unvermittelt seine Hand in die ihre und suchte seinen Blick. »Möchtest du das Bild denn überhaupt hergeben?«
    Leonardo zögerte. »Vielleicht möchte ich es zuerst jemandem zeigen…«
    Lisa zog die Augenbrauen hoch. »Hier in Rom?«
    »Meister Michelangelo Buonarroti.«
    Sie ließ abrupt seine Hand los, erschrocken, schien es fast. »Wozu denn das?«
    »Ich habe vor Jahren ein Marmorbildnis von ihm gesehen, das unvergleichlich schön war. Sublimierte Bildhauerkunst sozusagen. Und seither…« Wieder fand er nicht die rechten Worte. Vielleicht will ich diesem eitlen Fant nur beweisen, dass ich es mindestens so gut kann wie er, wenn nicht besser, dachte er missmutig. Und dass der Pinsel sehr wohl ein feineres Instrument ist als der Meißel.
    Jetzt erst machte er sich bewusst, wie heftig Lisa reagiert hatte. »Kennst du Michelangelo oder sein Werk?«
    »Er hat hier ein Fresko gemalt, in der Hauskapelle des Papstes. Es ist im vorigen Jahr fertig geworden. Ich verstehe nicht viel von Kunst, ich betrachte ein Kunstwerk wie eine Landschaft. Entweder gefällt es mir, oder es gefällt mir nicht. Aber als ich sein Werk zum ersten Mal sah…« Jetzt war sie es, die nach Worten suchte. »Ich wusste nicht, wie mir geschah, es brachte mich förmlich zum Erbeben. Es war, als ob… Ich hatte das Gefühl, dass solche Schönheit für das menschliche Auge gar nicht zu erfassen ist.«
    Leonardo schluckte, bevor er entgegnete: »Schmerzliche Worte, die mich gleichwohl sehr neugierig machen.«
    Lisa schaute ihn forschend an. »Soll ich dich hinführen?«
    »Und Giuliano?«
    »Der ist gar nicht hier. Er wird erst übermorgen zurück erwartet.«
    »Gut. Ich fürchte nämlich, ich werde kein Auge zutun, solange ich dieses Kunstwerk nicht gesehen habe.«
    Und wenn ich es gesehen habe, vielleicht erst recht nicht, dachte er.
    In dieser Nacht fand Leonardo tatsächlich keinen Schlaf. Zu sehr geisterten noch die großartigen Deckenfresken in der Sixtinischen Kapelle durch seinen Kopf. Atemlos hatte er am Tag zu den lebendigen Szenen gut dreißig braccia über ihm emporgeschaut, und jetzt im Dunkeln, da sie dem Raum enthoben waren, der den Blick abgelenkt hatte, wurden sie umso wirklichkeitsnäher. Die Schöpfungsgeschichte, derart plastisch und detailliert dargestellt, als sei der Künstler selbst dabei gewesen. Darum herum überlebensgroße Propheten und Sibyllen, jene Seher, die das Kommen eines Erlösers vorausgeahnt hatten. Eine Vielzahl nackter männlicher Leiber von so kraftvoller Schönheit, dass ihm seine eigene Hinfälligkeit umso schmerzlicher bewusst wurde…
    Leonardo hatte sich damit zu trösten versucht, dass die überwältigende Wirkung des Ganzen auch auf die gigantischen Ausmaße der Kapelle zurückzuführen war. Aber welche geradezu unmenschliche Anstrengung musste es gekostet haben, diese Bilder überhaupt an die Decke zu malen! Ein Werk, zu dem er

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