Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
Schulter. »Meister Leonardo da Vinci? Mein Name ist Ser Paolo di Davillio, Anwalt«, sagte ein ganz in braunen Samt gekleideter rundlicher kleiner Mann mit klebrigen schwarzen Haaren. »Herr Leon Battista Alberti war mein Cousin, und er hat mich mit der Regelung seiner Hinterlassenschaft beauftragt. In dem Zusammenhang würde ich Sie gerne demnächst sprechen.«
Leonardo nickte stumm, die Augen auf den Sarg gerichtet. Die Worte des Anwalts waren gar nicht richtig zu ihm durchgedrungen. Und im Angesicht des Todes waren sie für ihn auch gar nicht von Belang.
Als die Feierlichkeiten beendet waren und sich die Menge allmählich zerstreute, erblickte Leonardo Toscanelli, der mit gesenktem Kopf abseits unter einer großen Weide stand. Er traute sich nicht recht, sich dem Gelehrten zu nähern, bis dieser auf ihn aufmerksam wurde und ein fragender Ausdruck in sein verwittertes Gesicht trat.
Leonardo ging zu ihm hinüber. »Ich bin Leonardo da Vinci, ich war mit dem Verstorbenen befreundet.«
Toscanelli nickte. »Leon hat einige Male von Ihnen gesprochen. Sie sind Maler, nicht wahr?«
»Er wollte mich immer mit Ihnen bekannt machen, aber daraus wird nun leider nichts mehr.«
»Nein… Beerdigungen haben den unangenehmen Nebeneffekt, dass sie uns die eigene Sterblichkeit vor Augen führen, zumal wenn wir nicht mehr die Jüngsten sind. Nicht, dass ich mich vor dem Tod fürchte, aber…«, Toscanelli zuckte mutlos die Achseln.
»Leon erzählte mir, dass Sie an einem geographischen Projekt zur Messung der westlichen Entfernung zwischen Europa und Asien mitwirken. Und dass dazu ein Schiff in westlicher Richtung nach Indien fahren soll.«
Toscanelli zog die Augenbrauen hoch. »Dann muss er großes Vertrauen zu Ihnen gehabt haben. Denn als Wissenschaftler posaunt man ketzerische Ideen zum ptolemäischen Weltbild und zu den darauf fußenden Karten besser nicht allzu laut in der Gegend herum. Nun, eines der größten Probleme liegt darin, einen Seefahrer zu finden, der bereit ist, den Kopf für die Verifizierung meiner Ideen hinzuhalten.« Er sah Leonardo eindringlich an. »Aber diese Dinge beschäftigen Sie als Künstler doch wohl nicht so sehr, oder?«
»Oh, ich interessiere mich auch für Wissenschaft und Technik, insbesondere für Physik und Mathematik, Herr Toscanelli.«
»So, so«, sagte Toscanelli mit leichtem Spott. Aber dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck. »Jetzt fällt es mir wieder ein! Sie haben doch einen technischen Beitrag dazu geleistet, dass im vergangenen Jahr die Kupferkugel auf der Domkuppel angebracht werden konnte, nicht?«
»Einen bescheidenen technischen Beitrag.«
»Vielleicht sollten wir uns bei Gelegenheit einmal etwas ausführlicher unterhalten, und sei es nur, weil wir einen wertvollen gemeinsamen Freund hatten.«
»Es wäre mir eine große Ehre, Herr Toscanelli. Mit Leon bin ich von Zeit zu Zeit ausgeritten, und dabei haben wir lange Gespräche geführt.«
»Hm, das lassen meine steifen alten Knochen nicht mehr zu. Ich bin kein Athlet, wie Leon es war. Wer hätte gedacht, dass er als Erster…« Toscanelli biss sich auf die Unterlippe und verstummte für einige Sekunden, ehe er sagte: »Ich freue mich schon darauf, Sie näher kennenzulernen.«
Leonardo erkannte seinen Vater zuerst gar nicht wieder, als dieser ihn zum ersten Mal seit Jahren unverhofft in der bottega besuchte. Er war dicker geworden und hatte kaum noch Haare auf dem Kopf. Sein blanker Schädel glänzte in dem von draußen hereinfallenden Licht. Ser Piero begrüßte zunächst Verrocchio, bevor er zu Leonardo trat, um einen kritischen Blick auf das Tafelbild zu werfen, an dem dieser in einer gut ausgeleuchteten Ecke der Werkstatt arbeitete.
»Die Verkündigung, nicht? Es gibt wohl keinen namhaften Maler, der sich nicht irgendwann an diese Darstellung gewagt hätte.«
»Schön, dass du wenigstens erkennst, was es sein soll«, erwiderte Leonardo nicht besonders freundlich.
Ser Piero schaute sich um. »Warum bist du nicht nach Hause zurückgekommen?«
»Ich möchte dort sein, wo ich arbeite, und ich fühle mich hier wohl.«
»Fühlst du dich denn zu Hause nicht wohl?«
»Nicht wirklich«, antwortete Leonardo, ohne eine nähere Erklärung dazu abzugeben.
»Wie ist es denn um deine finanzielle Situation bestellt?«
»Ich komme zurecht«, antwortete Leonardo unwillig.
»Stimmt es, dass du bereits in die Malergilde aufgenommen worden bist?«
Leonardo nickte nicht ohne Stolz. »Ich darf mich mit Fug und Recht
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