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Der Maler

Der Maler

Titel: Der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Sein nationaler Sicherheitsstab würde sich in zehn Minuten unten im Speisezimmer versammeln. Dabei würde es keine Fernsehkameras, sondern nur einen Fotografen des Weißen Hauses geben, der diesen Augenblick für die Medien und für die Geschichte festhalten würde. James Beckwith, der sich der größten Krise seiner Präsidentschaft stellte. James Beckwith, der seine Wiederwahlkampagne beiseite schob, um den Verpflichtungen seines hohen Amts nachzukommen. James Beckwith, Führer der Nation.
    Er betrachtete zum letztenmal sein Spiegelbild.
    Große Männer werden nicht groß geboren. Große Männer werden groß, weil sie eine sich bietende Gelegenheit ergreifen.

3
    WASHINGTON, D.C.
     
    Vor diesem Augenblick hatte Elizabeth Osbourne sich die ganze Woche gefürchtet. Sie fuhr mit ihrem silbernen Mercedes auf den Parkplatz des Georgetown University Medical Center und fand einen Platz in der Nähe des Eingangs. Sie sah auf die Uhr im Instrumentenbrett. Es war halb fünf; sie war eine Viertelstunde zu früh dran. Sie stellte den Motor ab. Ein tropischer Wirbelsturm war vom Golf von Mexiko heraufgezogen und hatte sich über der Stadt festgesetzt. Seit Mittag goß es in Strömen. Stürmische Winde entwurzelten überall im Nordwesten Washingtons Bäume, hatten die Einstellung des Betriebs auf dem National Airport erzwungen und vertrieben die Touristen von den Denkmälern und Gedenkstätten entlang der Mall.
    Regen trommelte aufs Autodach und lief in Strömen über die Windschutzscheibe. Sobald die Scheibenwischer standen, verschwand der Rest der Welt hinter breiten Wasserschlieren.
    Elizabeth genoß es, nichts um sich herum sehen zu können. Sie schloß die Augen. Sie träumte gern davon, ihr Leben zu ändern, weniger hektisch zu leben, aus Washington wegzuziehen und sich irgendwo ruhig und behaglich mit ihrem Mann Michael niederzulassen. Aber sie wußte, daß das ein törichter, unrealistischer Traum war. Elizabeth Osbourne war eine der angesehensten Anwältinnen Washingtons. Und Michael, der sich als international tätiger Unternehmensberater ausgab, war in Wirklichkeit ein ranghoher Mitarbeiter der Central Intelligence Agency.
    Ihr Autotelefon klingelte leise. Sie griff nach dem Hörer, ohne die Augen zu öffnen, und sagte: »Hallo, Max.«
    Max Lewis war ihr sechsundzwanzigjähriger Sekretär. Erst gestern abend, als Elizabeth mit einem Glas Wein und einem Stapel Akten allein in ihrem Zimmer gesessen hatte, war ihr klar geworden, daß sie mehr mit Max als sonst jemandem auf der Welt sprach. Das deprimierte sie zutiefst.
    »Woher hast du gewußt, daß ich anrufe?« fragte er.
    »Weil nur zwei Leute diese Nummer haben, du und Michael.
    Und ich habe gewußt, daß er's nicht sein kann.«
    »Das klingt enttäuscht.«
    »Nein, ich bin nur ein bißchen müde. Was gib t's?«
    »Ich habe David Carpenter aus Miami am Telefon.«
    »Sag Mr. Carpenter, daß ich ihn anrufe, sobald ich wieder zu Hause bin. Ich weiß aus Erfahrung, daß man Gespräche mit David Carpenter nicht über Autotelefone führen sollte.«
    »Die Angelegenheit ist dringend, sagt er.«
    »Das sagt er meistens.«
    »Wann kann er mit deinem Anruf rechnen?«
    »Gegen neunzehn Uhr, eher etwas später. Das hängt davon ab, wie's hier klappt.«
    »Braxtons Sekretärin hat angerufen.«
    Samuel Braxton war der geschäftsführende Partner der Kanzlei Braxton, Allworth & Kettlemen und der beste Akquisiteur der Anwaltsfirma. Er hatte zwei republikanischen Präsidenten gedient - einmal als stellvertretender Stabschef des Weißen Hauses, einmal als Stellvertreter des Finanzministers - und gehörte zum enge ren Kreis der Kandidaten für den Posten des Außenministers, falls Beckwith wiedergewählt wurde. Er beäugte Elizabeth mißtrauisch, weil er ihre politische Einstellung mißbilligte; ihr Vater war Douglas Cannon, ein Liberaler aus New York, der viermal im Senat gesessen hatte, und sie hatte schon zweimal unbezahlten Urlaub genommen, um für demokratische Senatoren zu arbeiten. Braxton bezeichnete sie routinemäßig als »unsere hauseigene Linke«. Holte er bei Besprechungen die Meinung aller am Tisch Sitzenden ein, erzielte er häufig einen Lacherfolg, indem er sich an Elizabeth wandte und sagte: »Und jetzt mit der Ansicht der American Civil Liberties Union: Elizabeth Cannon-Osbourne!«
    Ihr Konflikt mit Samuel Braxton hatte auch eine ernstere Seite; Braxton hatte sich dagegen gewehrt, sie als Partnerin aufzunehmen, und erst eingelenkt, als die anderen Partner ihn davon

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