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Der Maler

Der Maler

Titel: Der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Invasion getäuscht.«
    »Die Frau, die seine Agentin gewesen ist...«, fragte Lisbeth stockend. »Hat er sie geliebt? Meine Mutter hat immer den Verdacht gehabt, er habe eine andere geliebt.«

    »Das liegt alles schon lange zurück.«
    »Sagen Sie mir die Wahrheit, Herr Ulbricht.«
    »Ja, er hat sie geliebt.«
    »Wie hat sie geheißen?«
    »Anna Katharina von Steiner. Ihr Vater hat sie genötigt, Agentin zu werden. Sie ist nie aus England zurückgekommen.«
    Seit diesem Nachmittag war Astrid fast zwanghaft von ihrem Großvater fasziniert. Ihr eigener Großvater, ein Mitstreiter von Admiral Canaris, ein tapferer Widerstandskämpfer, der versucht hatte, Deutschland von Hitler zu befreien! Auf dem Dachboden entdeckte sie einen Koffer mit seinen Sachen, die ihre Mutter aufgehoben hatte: juristische Fachbücher, ein paar uralte Fotos, einige Kleidungsstücke. Diese wenigen Andenken hütete sie wie einen kostbaren Schatz. Als sie alt genug war, imitierte sie sogar sein Aussehen: den Bürstenhaarschnitt, die runde Nickelbrille und die schmucklosen Leichenbestatteranzüge. Sie versuchte, sich die Agentin Anna Katharina von Steiner vorzustellen, die er geliebt hatte. In den Papieren ihres Großvaters konnte Astrid keinen Hinweis auf sie finden, deshalb machte sie sich ihr eigenes Bild von Anna: schön, tapfer, skrupellos, gewalttätig.
    Mit achtzehn Jahren kehrte Astrid nach Deutschland zurück, um an der Münchner Universität zu studieren, und engagierte sich sofort in der linken Szene. Sie glaubte, in Deutschland herrschten noch immer die Nazis. Sie glaubte, die Amerikaner seien Besatzer. Sie glaubte, die Kapitalisten versklavten die Arbeiter. Sie stellte sich vor, was ihr Großvater, der große Kurt Vogel, getan hätte. Er hätte sich natürlich der Widerstandsbewegung angeschlossen.
    Astrid Vogel brach 1979 ihr Studium ab und schloß sich der Rote-Armee-Fraktion an. Die Gruppe entschied, daß sie ihren richtigen Namen ablegen und einen Decknamen wählen müsse.
    Astrid entschied sich für Anna Steiner und verschwand in der Welt des Terrorismus.

    Sie lebte in einem Hausboot auf der Prinsengracht. Um drei Uhr nachmittags kam sie aus der Buchhandlung, sperrte ihr im Radständer stehendes Fahrrad auf und schob es quer über den Platz davon.
    Delaroche winkte den Kellner heran, um zu zahlen.
    Sie ging zu Fuß, schob ihr Rad, hatte es offenbar nicht eilig.
    Delaroche folgte ihr unbemerkt. Astrid hatte sich in den Jahren, seit er sie zuletzt gesehen hatte, kaum verändert. Sie war groß und leicht schlaksig, mit langen, schönen Beinen und Händen, die unablässig auf der Suche nach einem Ruheplatz zu sein schienen. Ihr Gesicht schien aus einer anderen Zeit zu stammen: leuchtend heller Teint, hochstehende Backenknochen, lange, gerade Nase und blaugrüne Augen, deren Farbe an einen Bergsee erinnerte. Haarfarbe und Frisur hatte sie jeweils den Erfordernissen von Politik und Mode angepaßt, aber jetzt trug sie es wieder wie früher: lang, blond, von einer schlichten schwarzen Spange zusammengehalten.
    Er folgte ihr nach Norden die Keizersgracht entlang. Astrid überquerte den Kanal auf der Reestraat und ging die Prinsengracht entlang nach Norden. Delaroche ging schneller, um zu ihr aufzuschließen. Als sie seine Schritte hörte, fuhr sie sichtlich erschrocken herum und griff in ihre Umhängetasche.
    Delaroche legte ihr sanft eine Hand auf den Arm.
    »Ich bin's, Astrid. Hab keine Angst.«
    Die Krista war vierzehn Meter lang mit einem Steuerhaus achtern, einem schlanken Bug und einem frischen grün-weißen Anstrich. Sie war neben einem behäbigen Schleppkahn vertäut, so daß Astrid und Delaroche übers Achterdeck der Nachbarn gehen mußten, um an Bord zu gelangen. Das Schiffsinnere war sauber, überraschend geräumig und dreigeteilt: Pantry, Salon und Schlafkabine im Bug. Die verblassende Helligkeit des Spätnachmittags fiel durch zwei Oberlichte und zwei Reihen Bullaugen in den Schiffswänden.

    Delaroche saß im Salon und beobachtete Astrid, während sie in der Pantry Kaffee kochte. Sie sprachen holländisch, denn sie gab sich als eine geschiedene Rotterdamerin aus und wollte nicht, daß ihre Nachbarn sie deutsch reden hörten. Wie alle Amsterdamer lebte sie in ständiger Angst um ihr Fahrrad. Seit sie hier wohnte, waren ihr schon vier Räder gestohlen worden.
    Sie erzählte Delaroche, daß sie eines Tages auf einem Spaziergang an der Singelgracht einen Mann gesehen hatte, der mit gebrauchten Fahrrädern handelte. In seinen

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