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Der Maler

Der Maler

Titel: Der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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allein lösen mußte, weil er arbeitete.
    In diesem Augenblick verliebte er sich endgültig in sie. Er liebte sie ein letztes Mal. Sie lag mit geschlossenen Augen und passivem Gesichtsausdruck still auf dem Rücken, bis das körperliche Vergnügen zu stark wurde. Dann öffnete sie Augen und Mund, zog sein Gesicht zu ihrem herunter und küßte ihn, bis sie gemeinsam kamen. Dieses Bild von Sarah und ihr Anblick, wie sie im Lichtschein des Chelsea Embankment auf ihn zuschwebte, waren durch den Mann mit der Pistole zerstört worden.
    Er erinnerte sich, wie ihr Gesicht explodiert war, erinnerte sich, wie Sarah vor seinen Augen zusammengebrochen war. Er erinnerte sich an den Killer: blasse Haut, kurzgeschnittenes Haar, schmale Nase. Er sah wieder, wie der Mann eine Pistole mit Schalldämpfer hinten aus dem Hosenbund zog, wie er den Arm hochriß, wie er, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, dreimal rasch nacheinander abdrückte.
    Er lief zu ihr, obwohl er wußte, daß sie tot war. Manchmal wünschte er sich, er hätte den Killer verfolgt, obwohl er wußte, daß ihn das vermutlich das Leben gekostet hätte. Statt dessen kniete er neben ihr, hielt sie in seinen Armen und drückte ihren Kopf an seine Brust, um ihr zerstörtes Gesicht nicht sehen zu müssen.
    Es begann zu regnen. Michael fuhr mit einem Taxi ins Hotel zurück. Er zog sich aus, ging ins Bett und rief Elizabeth an. Sie mußte etwas in seiner Stimme gehört haben, denn sie klang bedrückt, als sie gute Nacht sagte und auflegte. Michael durchflutete ein heißes Schuldbewußtsein, als habe er sie gerade betrogen.

21
    LONDON

    Früh am nächsten Morgen bezahlte Michael sein Hotelzimmer und mietete sich bei der Hertz-Filiale nördlich des Marble Arch einen silbergrauen Rover Sedan. Gegen den morgendlichen Berufsverkehr fuhr er nach Westen. Bei leichtem Nieselregen war es noch dunkel. Michael schaltete das Radio ein und hörte die Sechsuhrnachrichten der BBC.
    Der Tag brach schmutziggrau an, als er in die sanften Hügel der Chilterns hinauffuhr. Die Hertz-Straßenkarte lag unaufgeschlagen auf dem Beifahrersitz. Michael brauchte sie nicht, denn er kannte die Strecke gut.
    Sarahs Familie gehörte ein großes altes Landhaus in Chipping Campden in den Cotswolds. Kalksteinmauern, überwuchert von Clematis und Efeu, umgaben das Anwesen. In den Monaten ihrer gemeinsamen Zeit hatten sie mehrere Wochenenden dort verbracht. Auf dem Land hatte Sarah sich immer verändert. Statt der schwarzen Lederkluft ihres Soho-Clans trug sie ausgebleichte Jeans und Pullover im Winter und mädchenhafte Baumwollkleider im Sommer. Vormittags wanderten sie in der Umgebung des Dorfs über Weideflächen mit Schafherden und vielen Fasanen. Nachmittags liebten sie sich. An warmen Sommertagen liebten sie sich im Garten hinter den Mauern und Blütenranken. Sarah genoß das Gefühl, Michael in sich zu haben und die Sonne auf ihrer blassen Haut zu spüren. Insgeheim hoffte sie, dabei beobachtet zu werden. Alle Welt sollte wissen, wie es aussah, wenn sie sich liebten. Alle sollten eifersüchtig sein.
    Sie tanzte, sie war Mannequin, sie las viele Bücher.
    Manchmal war sie Schauspielerin, manchmal Fotografin. Ihre politischen Ansichten waren wirr und so flexibel wie ihr langer Körper. Sie war Labourwählerin, sie war Kommunistin. Sie war eine Grüne, sie war Anarchistin. Überall in ihrem Zimmer in Soho lagen Kleidungsstücke und Trikots. Sie hörte Clash und die Stones. Sie hörte sich Aufnahmen von Meeresbrandung und Waldesrauschen oder gregorianische Gesänge an. Sie war Vegetarierin, der vom Geruch gegrillten Lammfleischs schlecht wurde. Da ihre Wohnung über einem libanesischen Schnellrestaurant lag, zündete sie Kerzen und Raucher-Stäbchen an, um die Küchendünste zu überdecken. Als sie Michael zum erstenmal mit in ihr Bett nahm, hatte er das unbehagliche Gefühl, es in einer katholischen Kirche zu treiben.
    Sarah führte ihn in eine ihm unbekannte Welt ein. Sie nahm ihn auf seltsame Parties mit. Sie nahm ihn in experimentelle Theateraufführungen mit. Sie nahm ihn zu Ausstellungen und Lesungen mit. Sie wählte andere Kleidung für ihn aus. Sie konnte erst einschlafen, wenn sie sich geliebt hatten. Es machte ihr Spaß, ihre Körper im Kerzenschein zu betrachten. »Sieh uns nur an«, sagte sie dabei. »Ich bin so weiß, du so dunkel. Ich bin gut, du bist böse.«
    Seine Arbeit interessierte sie nicht, und sie fragte nie danach.
    Der Gedanke, jemand könne weltweit unterwegs sein, um etwas zu

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