Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Maler

Der Maler

Titel: Der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
Vom Netzwerk:
ihn sein Streit mit Elizabeth beunruhigte.
    Ihre Ehe verlief im allgemeinen in ruhigen Ba hnen; sie war frei von den ständigen Krachen und Spannungen, die so viele Ehen von CIA-Offizieren beeinträchtigten. Kleine Auseinandersetzungen beunruhigten sie zutiefst; einen Krach mit Drohungen wie letzte Nacht hatten sie noch nie gehabt.
    Michael zog eine schußsichere Weste über seinen dünnen Rollkragenpullover und darüber einen grauen Pullover mit rundem Halsausschnitt. Er nahm den Telefonhörer ab und wählte zum letztenmal die Nummer des Apartments in der Fifth Avenue. Sie war noch immer besetzt. Er legte auf und ging nach unten, wo Wheaton ihn auf dem Rücksitz eines am Randstein parkenden Dienstwagens erwartete. Auf ihrer Fahrt zum Bahnhof Charing Cross leierte Wheaton die Regeln für den Ablauf des Treffs mit der Intensität eines Mannes herunter, der seine gesamte Dienstzeit an einem sicheren Schreibtisch verbracht hatte.
    »Sollte Awad nicht kommen, dürfen Sie unter keinen Umständen mit jemandem sprechen«, sagte Wheaton. »Sie warten, bis das Schiff Calais erreicht, und wir holen Sie raus.«
    »Ich springe nicht hinter feindlichen Linien ab«, sagte Michael. »Kommt Awad nicht, fahre ich einfach mit der nächsten Fähre nach England zurück.«
    »Seien Sie wachsam«, sagte Wheaton, ohne auf Michaels letzte Bemerkung einzugehen. »Wir wollen auf keinen Fall, daß Sie an einen Rechtgläubigen des Schwerts von Gaza geraten, der einen hölzernen Schlüssel umhängen hat.«
    Männer des Schwerts von Gaza - und viele andere islamische Terroristen - trugen bei Selbstmordeinsätzen im allgemeinen einen hölzernen Schlüssel unter ihrer Kle idung, weil sie glaubten, ihre Tat werde mit Märtyrertum und einem sicheren Platz im Paradies belohnt.
    »Carter will nicht, daß Sie nackt hingehen«, sagte Wheaton.
    Er ließ die Schlösser seines Aktenkoffers aufschnappen und nahm eine großkalibrige Browning Automatic mit fünfzehn Schuß im Magazin heraus: die Standardwaffe der Agency.
    »Was soll ich damit tun?« fragte Michael. Wie die meisten Führungsoffiziere konnte er die Einsätze, bei denen er bewaffnet gewesen war, an den Fingern einer Hand abzählen. Als Führungsoffizier konnte man sich nur selten den Weg freischießen. Eine Waffe zur Selbstverteidigung zu ziehen war das endgültige Eingeständnis eines Mißerfolgs. Es bedeutete, daß der Betreffende verraten worden war oder schlampig gearbeitet hatte.
    »Wir schicken Sie nicht auf diese Fähre, damit Sie ermordet oder als Geisel genommen werden«, antwortete Wheaton.
    »Merken Sie, daß Sie in eine Falle geraten, müssen Sie sich wehren. Dort draußen sind Sie auf sich allein gestellt.«

    Michael schob das Magazin in den Griff und zog den Schlitten zurück, um die Pistole durchzuladen. Dann sicherte er sie und steckte sie unter seinem Pullover in den Hosenbund.
    Wheaton setzte Michael am Bahnhof Charing Cross ab.
    Michael betrat das Bahnhofsgebäude und kaufte sich eine Fahrkarte erster Klasse nach Dover. Der Zug sollte in wenigen Minuten abfahren. Er besorgte sich noch die Morgenzeitungen und stieg ein. Er ging zur ersten Klasse durch und hielt nach einem Abteil Ausschau, in dem nur noch ein Sitzplatz frei war.
    Er fand bald eines. Vier Geschäftsleute, die auf ihren Laptops herumhackten, und eine gelangweilt wirkende junge Frau - langes Haar, dunkle Augen, blasser Teint -, die ihn vage an Sarah erinnerte.
    Der Zug ratterte fast eine Stunde durch die südöstlichen Vororte Londons, bis er die sanften Weiten Kents erreichte.
    Michael holte sich im Speisewagen einen Kaffee und ein Schinken-Käse-Sandwich und ging wieder zurück ins Abteil.
    Die Geschäftsleute, in Hemdsärmeln und Hosenträgern, studierten ihre Bildschirme, als seien sie die Heilige Schrift. Die junge Frau sagte auf der ganzen Fahrt kein Wort. Sie rauchte eine Zigarette nach der anderen, bis das Abteil einer Gaskammer glich. Ihre attraktiven braunen Augen glitten unstet über die graugrüne Landschaft Kents hinweg; ihre Hand mit den langen Fingern ruhte suggestiv auf ihrem mit einem dicken Wollstrumpf bedeckten Oberschenkel.
    Der Zug fuhr in Dover ein. Michael stand auf und trat in den Gang hinaus. Die junge Frau nahm ihre Umhängetasche aus der Gepäckablage und verließ ebenfalls das Abteil. Sie war groß, so groß wie Sarah, ohne jedoch ihre Grazie und raubtierhafte Geschmeidigkeit zu besitzen. Zu ihrem kurzen schwarzen Ledermantel trug sie schwarze Springerstiefel, deren Absatzeisen bei jedem

Weitere Kostenlose Bücher