Der Mann aus dem Dschungel
Beinahe hatten sie ihn erdrosselt. Immerhin, jetzt ging es ihm schon viel besser.
Er wollte nur diese Frau in seinen Armen halten und die kühle Luft des nächtlichen Dschungels einatmen. Er wollte nur die Augen schließen und daran denken, dass er immer noch frei war, wenn er aufwachte. Für heute hatte er genug erlebt.
Als Libby erwachte, schien ihr das helle Tageslicht mitten ins Gesicht. Blinzelnd versuchte sie das dichte Grün vor den Augen zu durchdringen. Sie brauchte einen kurzen Moment, um zu begreifen, dass sie nicht in ihrem Bett lag. Schlimmer war, dass sie die Nacht offensichtlich nicht allein verbracht hatte. Jemand hielt sie fest in den Armen. Panik durchflutete sie. Sie versuchte aufzustehen, aber die Arme, in denen sie lag, umklammerten sie nur noch fester.
Die Erinnerung setzte schlagartig wieder ein, so heftig, dass sie beinahe wieder in Ohnmacht fiel. Sie hatte Mick und Alf unter Drogen gesetzt und den Wilden befreit. Und er hatte sie gegen ihren Willen an diesen unbekannten Platz entführt. Hier lag sie jetzt, eingerollt in seine Arme wie ein kleines Kätzchen. Und dann blitzte noch etwas in ihrer Erinnerung auf, aber das konnte nicht wahr sein. John hatte sie geküsst.
Nein, sie musste geträumt haben. Eine wilde Kreatur wie John konnte sie nicht geküsst haben. Woher sollte er wissen, was das überhaupt bedeutete?
"Ich muss jetzt aufstehen", sagte sie mit leiser, aber fester Stimme. John rührte sich nicht. Natürlich. Er verstand sie nicht. Sie stieß mit der Faust gegen seine muskulöse Brust und gestikulierte, um sich verständlich zu machen. "Ich muss aufstehen", wiederholte sie.
Nach einem kurzen Augenblick ließ er sie frei, und sie krabbelte ungelenk aus seinem Schoß. Ihr Körper fühlte sich steif und zerschlagen an und schien ihr nicht zu gehorchen.
Schließlich erinnerte sie sich an die Nadelspitze in ihrer Handfläche. Sie hatte sich unabsichtlich das Betäubungsmittel gespritzt weil er sie geküsst hatte?
Sie versuchte erneut, sich auf die Beine zu stellen. Diesmal griff er nach ihrem verletzten Handgelenk und zog sie energisch zu sich hinunter. Ihr entfuhr ein durchdringender Schmerzensschrei. Erschrocken sah er sie an und ließ sie los.
"Ich muss mal eben ins Bad", erklärte sie ein wenig verlegen. "In die Büsche. Allerdings allein."
Sie warf ihm einen Blick zu, um zu prüfen, wie er reagierte.
Zum ersten Mal konnte sie seine Augen im hellen Tageslicht sehen, ohne Drogen und ohne künstliche Beleuchtung. Er hatte große schokoladenbraune Augen. Groß und braun und verführerisch wie nougatgefüllte Champagnertrüffel von Godiva. Ihr ganzes Leben lang hatte Libby jeder Versuchung widerstanden. Godiva war ihre einzige Schwäche.
"Ich muss…" Ihr versagten die Worte. Es war ohnehin besser, entschied sie, auf detaillierte Erklärungen zu verzichten.
"Du bleibst hier", befahl sie streng. Zum Glück bewegte er sich nicht, obwohl ihr nicht klar war, wie sie ihn hätte stoppen sollen, wenn er Anstalten gemacht hätte, ihr zu folgen. Sie schlug sich durch das Unterholz und achtete darauf, dass sie sich nicht zu weit von ihrem Lagerplatz entfernte. Endlich fand sie Erleichterung.
Geräuschvoll trat sie den Rückweg zum Lagerplatz an.
Entsetzt stellte sie fest, dass der Platz leer war. So viel zu meinen Befürchtungen, dachte sie, kniete am Ufer des Baches nieder und formte die Hände zum Trinkgefäß. Das Wasser schmeckte kalt und klar und köstlich. Genauso köstlich wie am Abend zuvor, als sie aus seinen Händen getrunken hatte.
"Stopp!" befahl sie sich laut. "Zu viel erotische Fantasien."
Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, als John mit großen, kürbisähnlichen Früchten wieder auf dem Lagerplatz
auftauchte. "Wie gut, dass du kein Wort verstehst", fügte sie hinzu und hockte sich hin. "Du brauchst nicht zu wissen, dass ich lustvolle Gefühle für dich empfinde. Vielleicht leide ich unter dem Stockholm-Syndrom und verliebe mich gerade in meinen Entführer. Nein, wahrscheinlich doch nicht. Um ganz ehrlich zu sein, gehen mir diese unprofessionellen Fantasien durch den Kopf, seit ich dich das erste Mal gesehen habe.
Daran ist wohl kaum die Zeitverschiebung schuld. Ich danke Gott im Himmel, dass du kein Wort verstehst."
Er reichte ihr eine Scheibe von der Frucht, die sie gestern Nacht schon gegessen hatten. Sie biss herzhaft hinein und spürte den salzig-süßen Geschmack auf der Zunge. "Gar nicht schlecht, weißt du", meinte sie, während er sich hinsetzte und
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