Der Mann aus Israel (German Edition)
Elisabeth, Du bekommst eine schwarze
Nase, wenn Du in der Sonne liegst.“
„Besser eine schwarze Nase als eine schwarze Seele.“ keife
ich. Wo sind meine Zigaretten? Ich brauche jetzt eine.
„Sag` mal, Elisabeth, bist Du eigentlich verheiratet?“ fragt
er mich nach einer Weile. Ich strecke ihm meine linke Hand hin. Den Ringfinger
ziert ein goldener Reif. Es ist das einzige Schmuckstück, das ich trage.
„Ja.“ antworte ich. Meine Gedanken schweifen zu Lucius,
meinem Mann und Vater meiner Söhne. Soll ich Raffael von ihm erzählen? Dazu
habe ich keine Lust. Hier, weit weg von daheim, zähle nur ich, Lucius hat mit
meiner Reiseleiterei nichts zu tun. Er duldet sie, mehr aber auch nicht. Es ist
schon merkwürdig, wie selten ich an ihn denke, wenn ich unterwegs bin. An meine
Söhne denke ich viel, aber um ihn mache ich mir keine Sorgen. Wenn er mich
abends im Hotel bisweilen anruft, bin ich immer ganz überrascht. Seine Existenz
entfällt mir gelegentlich.
„Hast Du ein eigenes Haus?“ bohrt Raffael weiter.
„Ja, natürlich habe ich eigenes Haus.“ antworte ich.
„Wie viele Zimmer hat es?“ will er jetzt wissen. Wie viele
Zimmer hat mein Haus, denke ich, woher soll ich das denn wissen? Ich gehe in
Gedanken treppauf, treppab und komme auf elf. „Elf.“ sage ich. Er reagiert
nicht darauf, stellt gleich die nächste Frage.
„Was fährst Du für ein Auto?“ Ich fahre einen BMW. Auch das
sage ich ganz brav. Was soll diese Inquisition? frage ich mich. Gleich fragt er
mich noch nach meinem Kontostand. Aber darauf könnte ich ihm keine Antwort
geben. Unsere Finanzen verwaltet mein Mann, wie er eigentlich unser ganzes
Leben verwaltet. Vermögen ist Männersache, sagte Lucius vor vielen Jahren
einmal und dabei blieb es auch. Ich habe mich nie darum gekümmert. Und damals,
als er anfing, mein Leben in seine Hände zu nehmen, war es mir auch sehr recht
gewesen.
„Du bekommst Sand in die Haare“, unterbricht Raffael meine
Gedanken. „leg` Deinen Kopf auf mein Bein, dann hast Du es bequemer.“ Ich bette
meinen Kopf auf Raffaels Oberschenkel. Wieder spüre ich die Härte seiner
Muskel, das leise Rieseln meldet sich in meinem Bauch. Was soll dieses ständige
Kitzeln in meinen Eingeweiden? Ich halte ganz still. Vielleicht kann ich es so
länger spüren, es ist ein so schönes Gefühl.
Ich versuche mich zu entsinnen, wie es war, als ich Lucius
getroffen habe. Beim Skifahren, ja beim Skifahren habe ich Lucius kennengelernt,
in Davos. Bei einem Studenten-Skirennen, das war damals groß in Mode. Ich war
gerade angekommen, ein wenig zu spät. Mein uralter, dunkelblauer Käfer hatte
auf der Fahrt den Geist aufgegeben. Es hatte eine Weile gedauert, bis sich ein
Autofahrer fand, der bereit war, mich und meinen ganzen Krempel mitzunehmen.
Jetzt stand ich im Anmeldungsraum und wollte mich erkundigen, wer mit mir den
Paarlauf im Riesenslalom bestreiten würde. Auch das war in den späten
Sechzigern ein Hit: Ein Mann fährt voraus, eine Frau hinterher. Die Partner
wurden ausgelost, unabhängig von ihrer Nationalität. Ein junger Mann stand
plötzlich vor mir, groß, in einen klassischen dunkelblauen Skianzug gekleidet,
die dunklen Haare so ordentlich nach hinten gekämmt, als hätte er Pomade
benutzt. „Habe ich das Vergnügen mit Elisabeth Behrens?“ fragte er mich
höflich, mit einem eigenartigen Singsang in der Betonung. Hoppla, dachte ich,
der hat wohl einen Knall. Wir sind doch hier nicht auf dem Debütantinnen-Ball.
Was soll diese Förmlichkeit? Ich nickte.
„Ich bin Lucius Tobler aus Basel, Student der Jurisprudenz.
Dein Partner beim Paarlauf.“ sagte er. Ach so, dachte ich, ein Schweizer!
Deshalb spricht der so komisch. Ich hatte mich eigentlich auf einen Italiener
oder einen Franzosen als Vorfahrer gefreut, die sind immer so lustig und waren
auch sehr geeignet für den Tanz zum „Fünf-Uhr-Tee“. Ich schluckte meine
Enttäuschung schnell hinunter und lächelte ihn schief an. „Deine Skier sind
ganz unordentlich zusammengebunden.“ sagte der Student der Jurisprudenz aus
Basel und nahm sie mir ab, um die Langriemen, die man seinerzeit benutzte,
sorgfältig neu zu binden.
So hatte es angefangen. Lucius trug meine Ski, meine Koffer,
er sorgte dafür, dass mein Auto repariert wurde. Er ließ mich am Morgen wecken,
rückte meine Skimütze zurecht, erklärte mir die beste Linie beim Slalom. Er
hatte immer Dextroenergen und Frigorschokolade dabei, mittags kaufte er mir
einen „Schüblig“, eine Art Wurst.
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