Der Mann aus Israel (German Edition)
Raffael wohl sagen, wenn ich arabische Lieder spielen ließe?
Im besten Fall würde er die Kassette herausreißen und aus dem Fenster werfen.
Die Reisenden hätte er sicher auf seiner Seite, sie schunkeln schon wieder
selbstgefällig mit. Bei allem latenten Antisemitismus, ist den Christen ein
Jude immer noch lieber als ein Muslim, denke ich verzweifelt. Ich bin so wütend
und enttäuscht, immer wieder, wenn sich ein Konflikt dieser Art vor meinen
Augen abspielt. Ich habe so liebe Freunde unter den Arabern gefunden, treue,
friedliche Seelen. Was mag Raffael für Erfahrungen gemacht haben, die ihn zu
solch widerlichen Handlungen verleiten? Erlebnisse, die mir anscheinend fehlen,
sonst könnte ich ihn vielleicht verstehen. Steckt da wieder ein Geheimnis dahinter,
noch ein Golan- Syndrom?
Ich merke, dass ich versuche, ihn zu entschuldigen, dass ich
ihm nicht so böse bin, wie ich es sein müsste. Andererseits denke ich an
Khalil. Wie mag er sich wohl fühlen? Getreten wurde er, wie ein Straßenköter,
im eigenen Land.
Alle singen jetzt. Halleluja la olam, Halleluja yaschiru
kulam diesen Sieger-Song der Israelis bei irgendeinem
Eurovisions-Wettbewerb von anno dazumal. Raffael singt die Lead-Stimme mit
einem hellen Bariton und einem unglaublichen Swing. Khalil, mit dem er sich das
Mikrophon teilt, übernimmt die zweite Stimme. In voller Eintracht singen sie
vom Glück gemeinsam auf dieser Welt zu sein. Halleluja aljom sheme`ir rauscht
es durch den Bus. Ich scheine die Dinge wieder einmal zu ernst genommen zu
haben. Ich werde es nie lernen, dass hier im Orient das Blut leicht überkocht
und dass einem Streit die Versöhnung auf dem Fuße folgen kann. Nicht wie bei
uns in Deutschland, wo man die Kunst des Beleidigtseins über Jahre hinaus
ausdehnen kann.
„Du singst ja wie Engelbert Humperdinck.“ sage ich zu
Raffael. „Einfach super.“
„Nichts Besonderes.“ antwortet er. „Für einen Reiseleiter
reicht es gerade.“ Das klingt bitter.
Wir kommen nach Caesarea. Ich habe Lunch-Pakete
verteilt. Eigentlich hatte ich geplant, zu einem gemütlichen, gemeinsamen
Picknick im Schatten der herodianischen Ruinen zu bitten. Unter dem Schutz
eines Aquädukt-Bogens mit dem Blick auf das Azurblau des Mittelmeers. Aber ich
habe keine Lust auf Gesellschaft. Ich muss das auch gelegentlich demonstrieren.
„Wir machen hier Mittagspause.“ erkläre ich den Gästen. „Wir können zwei
Stunden hier bleiben, Sie können im Meer schwimmen, spaziergehen, ausruhen. Wie
es Ihnen gefällt. Wir treffen uns dann wieder am Bus.“
Ich schnappe mir mein Buch und verziehe mich ganz weit weg
hinter eine Düne. Ich schlage mein Buch auf, aber ich weiß jetzt schon, dass
ich viel zu aufgebracht bin, um zu lesen. Also lege ich mich in den Sand und
versuche zu dösen. Mein Gott, bist Du ein Schwerblüter, sage ich zu mir. Was
gehen Dich überhaupt diese Dinge an? Lass` die Menschen sich zanken, lass` sie
einander ignorieren. Warum willst Du sie immer erziehen? Wann lernst Du
endlich, tolerant zu sein?
„Was liest Du da?“ Das ist die Stimme von Raffael. Er hat
mich gesucht. Wie ich ihn verabscheue. Aber kaum höre ich seine Stimme, fängt
mein Herz sofort schneller zu klopfen an. Gut, dass er das nicht weiß. „Es sind
die Tagebücher eines jüdischen Deutschen, der den Krieg in Dresden überlebt
hat. Natürlich versteckt. Man hat diese Aufzeichnungen erst kürzlich gefunden.“
Er nimmt das Buch in die Hand. „ Ich will Zeugnis ablegen
bis zum Letzten.“ entziffert er den Titel. „Das ist nichts für mich. Aber
meinen Vater würde das sicher sehr interessieren.“
„Er kann es gerne haben, ich schenke es ihm. Ich kann mir
ein neues Exemplar besorgen. Hier nimm.“ antworte ich.
„Du musst es ihm schon selber geben, sonst ist es kein
Geschenk.“ entgegnet Raffael. „Bevor ich heute Abend nach Hause fahre, werde
ich Papa sowieso kurz besuchen. Komm` doch einfach mit. Er wohnt nicht weit weg
von Eurem Hotel. Er wird Dir gefallen. Da bin ich sicher.“
„Du kannst mich da einfach so mitnehmen? Wird Deinem Vater
das recht sein? Er kennt mich doch gar nicht.“
„Das werden wir ja sehen. Aber er ist ein alter Herr, er
fällt sicher sofort auf Deinen Charme rein.“
„Ach, mein Charme reicht wohl nur noch für uralte Männer,
was?“ Ich werde schon wieder so schrecklich wütend auf ihn. Kann er mich nicht
fünf Minuten einfach nur in Ruhe lassen? Ich drehe mich zur Sonne. Ich werde
jetzt kein Wort mehr sagen. „Pass auf,
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