Der Mann aus Israel (German Edition)
sie
auf einen Blick voneinander zu unterscheiden. Schlau, denke ich. Und
augenblicklich tun die Palästinenser mir leid.
Links und rechts der Straße sind Betonplanken quergestellt,
wir müssen im Slalom hineinfahren in unser Westbank-Abenteuer. Auf einem
betonierten Wassertank am Straßenrand haben sich israelische Soldaten
verschanzt. Sie lehnen hinter verdreckten Sandsäcken und verrosteten
Schutzschildern, scheinbar lässig, das Maschinengewehr im Anschlag. Wie jung
sie sind, denke ich, die Bewacher Israels und wie angespannt, beinahe gehetzt
der Blick. Keine Seltenheit dieser Ausdruck in den Augen der Menschen hier in
diesem Land. Ein Augenpaar dieser extremen Wachsamkeit fährt mit uns seit drei
Tagen durchs Land: Raffael.
Auf dem sandigen Wachposten weht der „Mogen David“, die
Flagge Israels. In den Autos sitzen, eingepfercht zwischen Tüten und Säcken,
schnurrbärtige Männer und verschleierte Frauen, Palästinenser. Hier prallen die
Unterschiede aufeinander. Wir sind in einer explosiven Mischwelt, die Westbank
gehört den israelischen Siedlern nicht allein. Sie müssen sie sich mit den
ursprünglichen Bewohnern teilen, die von den Besatzern bei jeder Ein- und
Ausfahrt aus der Westbank kontrolliert und gefilzt werden. Israelis nicht. Mit
ihrer angeborenen Gelassenheit fügen sich die Araber geduldig diesen
Prozeduren. Langsam fahren wir weiter. Ich frage Khalil, was er von diesem
Abstecher hält. Ich frage ihn auf Arabisch, damit der Erzengel und auch sonst
niemand versteht, über was wir reden. „Bukra mischmisch.“ antwortet er
und zuckt verlegen mit den Augenbrauen. Morgen regnet es Aprikosen , was
so viel heißt wie, morgen kann alles schon anders sein.
Auch eine Einstellung, denke ich für mich. Der Geduldsfaden
der Araber ist lang. Manchmal frage ich mich, ob er nicht zu lang ist.
Entlang der Straßen sind allerhand Bruchbuden von Ost- und
Gemüseständen aufgebaut. „Wer kauft denn hier?“ ruft Frau Vogel von hinten. Es
klingt, als würde sie nicht einmal unter Polizeieskorte einen Einkauf wagen.
„Die besten Kunden der Palästinenser sind wir Juden der Westbank.“ sagt
Raffael.
Vor einer monumentalen gelben Eisenschranke müssen auch wir
für einen Moment anhalten. Es ist die Einfahrt in Raffaels Dorf. Die Schranke
öffnet sich für uns, nachdem dem Pförtner-Soldaten versichert wurde, dass kein
Palästinenser an Bord ist. Khalil ist Palästinenser, aber zugleich auch
Israeli. Er darf hinein, als Raffaels Gast.
„Leider hat die Regierung beschlossen, alle jüdischen
Siedlungen mit einem Stacheldraht-Zaun einzusäumen.“ erklärt uns Raffael. „Das
soll uns vor Überfällen schützen. Ich bin nicht glücklich darüber. Hinterm
Stacheldraht zu leben, ist für einen Juden mit keiner vergnüglichen Erinnerung
verbunden.“
Dreitausend Menschen wohnen in diesem Dorf, hören wir, alles
Juden natürlich. Die Straßen sind peinlichst gepflegt. Ein Reihenhaus schmiegt
sich an das andere, die Einfahrten sauber gefegt, die Balkons blumenumrankt.
Von vielen Häusern weht die Flagge Israels. Raffael bringt uns zum höchsten
Punkt des Ortes, von wo aus wir in die Runde blicken können. Keine zweihundert
Meter weiter, hinterm Stacheldraht, liegt ein arabisches Dorf. Es ist leicht zu
erkennen an den weißen kubischen Häusern mit Flachdach, ungeordnet, planlos
gebaut. Gewachsen, so wie es vom jeweiligen Familienzuwachs seit Ewigkeiten in
der arabischen Sippengemeinschaft bestimmt wird. Die neuen, massivgebauten
israelischen Häuser haben rote Satteldächer aus Ziegeln. Das ist nicht nur eine
Hommage an Europa, das ist viel mehr: sichtbares Symbol des Anderssein,
Abgrenzung, vielleicht sogar Demarkation. Der Feind wohnt nicht mehr nur in den
umliegenden arabischen Staaten, er wohnt sozusagen nebenan und ist
unberechenbar. Jeder hier erinnert sich an die Intifada der Achtziger Jahre,
als die Palästinenser aus ihrer Lethargie erwachten und anfingen, mit Steinen
auf die Besatzer zu werfen. Die Atmosphäre von Hass und die Bereitschaft beider
Seiten, Gewalt anzuwenden, liegt irgendwie in der Luft.
„Aber jetzt wird doch bald Frieden sein?“ fragt Frau Köhler
zaghaft. Sie ist blass, erschrocken und beklommen, wie wir alle.
„Hoffen wir es.“ antwortet Raffael. Mehr sagt er nicht dazu,
keine Rechtfertigungen, keine Zukunftsaussichten. Er lässt uns einfach im Licht
der Nachmittagssonne stehen und die Realität erahnen. Er ist immer ganz
besonders eindrucksvoll, wenn er sich auf die große
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