Der Mann aus Israel (German Edition)
und
sagt „Na, endlich!“ zu mir. Wenn der wüsste, dass ich eine Suite hoch oben
unter den Wolken zugeteilt bekam, würde sein Lächeln einfrieren. Raffael hat es
an den Zimmernummern erkannt. „In meinem nächsten Leben werde ich auch deutsche
Reiseleiterin.“ kommentiert er.
Meine Gruppe schläft im siebten Stock, ich im
zweiundzwanzigsten. In diesem Stockwerk gibt es nur Suiten. Tourleader-Special nennt man das. Eines der wenigen Bonbons, die uns Reiseleitern manchmal den
harten Job versüßen.
„Sie haben morgen den ganzen Tag frei. Ich möchte Ihnen doch
noch ein paar Hinweise geben, wie Sie den Tag verbringen können.“ eröffne ich
das Gespräch. Beeile Dich mit Deinen Informationen, wenn Du mitgehen möchtest
zu meinem Vater, hatte mir der Erzengel befohlen, ich habe nicht viel Zeit,
weil ich den letzten Bus nach Hause erwischen muss.
Natürlich möchte ich mitgehen, der Vater interessiert mich
um einiges mehr als die Ehefrau. Also mache ich schnell. Ich erzähle, wann die
Museen geöffnet sind, wie man hinkommt, was das Taxi kostet, wie viel Trinkgeld
man geben sollte. Ich erwähne, dass sie den schönsten Blick auf die Altstadt
vom Turm der Erlöserkirche haben und dass sie auf den jüdischen Markt gehen
sollten, wenn sie echtes jüdischen Treiben kennenlernen wollen. Ja, und nicht
zu vergessen Mea Shearim , das Orthodoxen-Viertel. „Da müssen Sie
unbedingt hingehen.“ Ich wende mich damit an Frau Vogel. Sie war es, die sich
gestern beschwerte, schon den dritten Tag in Israel zu sein und noch nicht
einen einzigen Juden gesehen zu haben. In Mea Shearim wimmelt es von
schwarzberockten Frommen mit Schläfenlocken und pelzumrahmten Riesenhüten. Dort
wird sie fündig werden und ihre Vorurteils-Schubladen auffüllen können. Es
dauert fast eine Stunde, bis alle Fragen beantwortet sind.
„Wir sehen uns dann spätestens übermorgen früh. Bitte seien
Sie um acht Uhr bereit. Wir fahren dann zum Toten Meer und nach Masada.
Vergessen Sie Ihren Badeanzug nicht. Raffael wird dann auch wieder dabei sein.
Ich selbst wohne ja auch im Hotel. Ich sehe Sie sicherlich zwischendurch. Und
wenn Sie ein Problem haben, bin ich selbstverständlich immer für Sie da.“
Sie rufen „Ciao, Raffael und vielen Dank nochmals“, „Bis
übermorgen“, „Wir freuen uns schon“, „Grüßen Sie Ihre Frau und den süßen,
kleinen Yuval.“ Ich bin gerührt und erleichtert. Die Gruppe ist offensichtlich
zufrieden. Das passiert nicht oft. Was mich leicht ärgert, ist die Tatsache,
dass sie Raffael allein zum Erfolgsfaktor dieser Reise bestimmt haben. Wo
bleibe ich? Es scheint sie überhaupt nicht zu stören, dass er sie wie ein
Gewichtheber durchs Land stemmt, ohne nach ihren Wünschen zu fragen.
„Du und die Muttergottes als Erfolgsteam.“ sage ich giftig
zu Raffael, als wir von der King George Straße in die Ben Yehuda Straße
einbiegen.
„Sei nur nicht eifersüchtig, Prinzessin.“ antwortet er. „Mir
bist Du lieber als die Muttergottes.“
„Wo wohnt denn Dein Vater überhaupt? Was ist er von Beruf?“
ich bombardiere ihn mit Fragen. Ich bin sehr nervös. Wie er wohl reagieren wird
der alte Herr, den man aus Deutschland verjagt hat und dessen Familie meine
Vorfahren entwürdigt und vergast haben. Ich greife zu meinem Rucksack und fühle
das Buch, das ich ihm schenken möchte. Ich habe es den ganzen Nachmittag schon
dabei, um es ja nicht zu vergessen. Es ist mein Besuchs-Alibi.
Fünf Minuten hatte der Erzengel mir noch gewährt, um schnell
ins Zimmer zu laufen und wenigstens die Hände zu waschen. Ich hätte mich gerne
umgezogen, mich ein wenig hergerichtet für Kidon senior. Ich möchte ihn
unbedingt beeindrucken. Hoffentlich gelingt mir das auch in Jeans und T-Shirt.
Ob er auch so ein Büffel ist wie sein Sohn? So unnahbar und undurchsichtig?
„Ist Deine Mutter auch da? Ist Dein Vater fromm?“
„Du bist ja ganz aufgeregt.“ sagt Raffael belustigt. „Also,
mal der Reihe nach, ja? Vater wohnt in der Nähe der äthiopischen Kirche,
oberhalb des Kikar Zion.“
Im Äthiopier-Viertel wohnt er. Aber er ist doch ein
Deutscher, denke ich, die wohnen in Rehavia . Zumindest, wenn sie etwas
auf sich halten. Wo bringt Raffael mich da nur hin? Ich sehe mich schon durch
dunkle Gassen gehen, in finsteren Hinterhöfen verschwinden.
„Vater ist nicht fromm, keine Sorge. Meine Mutter ist schon
lange tot. Die beiden waren geschieden. Er war Arzt. Aber er arbeitet schon
lange nicht mehr. Er ist 82 Jahre alt. Sonst noch
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