Der Mann aus Israel (German Edition)
nicht dazukommt. Fein
säuberlich werden Briefe mit einem silbernen Messer, einem Erbstück natürlich,
aufgeschnitten und der Reihe nach geordnet und abgearbeitet. Lucius hat die
Stufen seiner vorgeplanten Karriere, eine nach der anderen, stetig erstiegen.
Bei ihm lief alles nach Plan. Natürlich hatte er Jura studiert, wie der Vater.
Natürlich nicht nur in Basel, sondern auch in Lausanne und New York. Und
natürlich sollte auch sein erstgeborener Sohn Lucius heißen. „Ich will keinen
Lucius zum Sohn.“ hatte ich damals geschrien. „Mir reicht schon einer.“ Ich
durfte meinen ersten Sohn Axel, meinen zweiten Stephan nennen. Lucius regelte
alles für mich, er sprach mit seiner Familie, beschwichtigte sie. Eine
Familien-Regel nach der anderen zerstörte ich den Toblers und ersetzte sie
durch eine eigene, und Lucius war mein treuer Anwalt dabei.
Auf was ich mich einließ, als ich seinen Antrag freudig
angenommen hatte, wurde mir erst später bewusst. Am Anfang fand ich es geradezu
wunderbar, in welch gepflegt zurückhaltende Familie ich da hineinheiratete. Und
alles drehte sich um mich, ich war der Mittelpunkt. Ich verwechselte ihre
schneidende Kälte mit Vornehmheit, ahnte nichts von den Gefechten hinter meinem
Rücken, weil Lucius es gewagt hatte „e Ditsche“, eine Deutsche, nach Hause zu
bringen.
Ich weiß nicht, was es ihn an Überredungskünsten kostete,
aber wir durften uns verloben. Im Hause seiner Eltern, einer gediegenen,
unauffälligen Villa. Lucius und ich mussten im „Gartensäli“, einem riesigen,
halbkreisförmigen Raum mit zwei Eingängen Position beziehen. Ich hatte ein
dunkelblaues Kostüm an. Mein erstes, Lucius hatte es mir gekauft. „Es muss
sein.“ hatte er gesagt.
Zur einen Tür kamen die Gratulanten herein, meist Tanten von
Lucius. „Guete Dag, Fräulein Behrens.“ sagten sie und reichten mir die
behandschuhten Finger. Sie plauderten ein wenig über die verschiedenen Dialekte
im Schweizerdeutschen, boten sich an, mir das Familienrezept für Rösti weiterzureichen und erzählten, dass sie schon einmal im „Dütsche“, in
Deutschland, gewesen seien. „Also, allis Guete und Adieu, Cousine.“ sagten sie
nach einer Weile, küssten mich auf beide Wangen und gingen bei der anderen Türe
wieder hinaus. Das Ritual war beendet, ich war in die Familie aufgenommen, war
jetzt ihre Cousine. „Du wirst Dich schon einleben.“ versprach Lucius mir. „Wenn
Du erst einmal den Dialekt kannst, wird alles gut.“ Ich lebte mich ein und
lernte den Dialekt. Ich musste ihn lernen. Ich hatte diesen Passus im
Ehevertrag, der dies von mir verlangte, belächelt, er war aber todernst
gemeint.
Zum Geburtstag, zu Weihnachten und zum Hochzeitstag bekomme
ich konservativen Schmuck von Lucius geschenkt, der sofort in meinen Schubladen
verschwindet. Ich schwärme nicht für Schmuck. Wozu auch?
Meine Schwiegereltern brachten nie richtige Geschenke mit
oder frische Blumen, wenn sie uns besuchten. Nur Dinge, die bereits durch
mehrere Hände gegangen waren, oder die sie selbst geschenkt bekommen hatten.
Einmal brachte „dr Bappe“, wie der hölzerne Mann, der mein Schwiegervater war,
genannt wurde, ein Reise-Nähzeug mit, auf dem groß Swissair stand. Ich
hatte die Nase endgültig voll. Ich sagte zu ihm, wie leid es mir täte, aber zu
essen gäbe es bei uns heute nichts für sie. Ich hätte nur noch eine Hundewurst
im Kühlschrank, und die sei schon drei Wochen alt. Von da an hatte ich Ruhe vor
den Alten. Lucius besorgte auch dies für mich. Was immer ich tat oder tue,
Lucius steht hinter mir. Ich setzte mich über alles hinweg, er ermöglichte es
mir. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Er hatte auch nichts dagegen, dass ich
mein Studium fertigmachen wollte. Und hatte auch keinen Einwand, als ich mich
beruflich ganz den Alten Kulturen, den erhebenden des Zweistromlandes ,
hingab.
Raffael spielt jetzt mit meinen Fingern, dreht an meinem
Ehering. Ich würde ihn so unglaublich gerne auch berühren, meine Hand in sein
Hemd schieben, seine Haut spüren. Aber ich halte ganz still, ich habe solche
Angst vor dem, was passieren könnte.
„Bewege Dich doch, Elisabeth.“ sagt Lucius immer zu mir,
wenn er zur mir ins Bett steigt und sich auf mich legt. Er duscht jedes Mal
vorher und legt sich ein Päckchen Tempotaschentücher aufs Nachtkästchen. „Mach`
doch ein bisschen mit.“ Ich erfülle ihm seine Wünsche, aber ich spüre nichts
dabei, könnte jedes Mal, wenn er sich vor Leidenschaft windet, ohne weiteres
die
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