Der Mann aus Israel (German Edition)
Unfortunately
they are not in, so you cannot meet them. “
Gott sei Dank, denke ich, mehr als ein Raffael-Duplikat
hätte ich auch nicht ertragen. Wie stolz sie ist auf ihr Zuhause, ihre Söhne.
Sicher ist sie auch stolz darauf, dass Raffael ihr Mann ist.
Jetzt kommt das Schlafzimmer. Ich wippe hin und her, es ist
mir sehr unangenehm, in das Zimmer schauen zu müssen, in dem Raffael seine
Söhne zeugt. Das Bett ist ordentlich gemacht, die Garnitur ist weiß. Was hatte
ich erwartet? Rosarot mit blauen Blümchen? Du bist gemein, Elisabeth, sage ich
zu mir und weiß, dass es stimmt. Ich werde Dir Deinen Mann nicht wegnehmen,
sage ich stumm zu Linda. Das verspreche ich Dir. Er wird zu Dir in Dein
sauberes Bettchen zurückkehren.
An der Wand steht auch hier ein vollgefülltes Bücherregal.
Zwischen den Büchern liegen Metallteile, grau und matt. Wie Frank Stella
Skulpturen in Mini-Ausführung sehen sie aus, denke ich. Scharfkantige Dreiecke,
daneben aufgerollte Metallspiralen. Ich erkenne blau aufgemalte Streifen und
Fragmente von Zahlen und Buchstaben. Interessant, denke ich, ich hätte ihm gar
nicht zugetraut, dass er sich für zeitgenössische Kunst interessiert.
„ Are these pieces of art? “ frage ich Raffaels Frau
und deute auf die verbogenen Teile.
„ No, no.“ antwortet sie, es klingt ein wenig
deprimiert. „ These are the leftovers of the aircraft, in which Raffis
brother died. Do you know the story?“ Ich nicke verwirrt. „Raffi
collected the pieces and always carries them with him. He needs them close to
him.“
Ich schnappe nach Luft, ein eisiger Schauer durchläuft mich.
Dieser Mann ist ein Wahnsinniger, denke ich, ein Übergeschnappter. Er hat die
Wrackteile des Flugzeuges, in dem sein kleiner Bruder vor 23 Jahren
abgeschossen wurde, fein säuberlich in sein Schlafzimmerregal gepackt. Ganz nah
sollen sie bei ihm sein, sagt seine Frau dazu. Spinnen die beide? Oder kann sie
nichts gegen diesen Verfolgungswahn ihres Mannes machen? Hat sie wirklich
akzeptiert, dass der kleine Bruder immer dabei ist, sogar im Schlafzimmer? Jede
Minute fängt mit ihm an und hört mit ihm auf. Ich erinnere mich. Das waren
Raffis Worte auf dem Golan. So hat er das also gemeint. Ich schüttle mit dem
Kopf.
„ I do not understand this. “ sage ich. Sie gibt keine
Antwort darauf. Vielleicht meint sie, sie sollte mich mit dieser traurigen
Geschichte nicht belästigen. Wir lassen es dabei. Ich habe genug von diesem
Heim.
Als wir wieder in das Wohnzimmer kommen, plaudern alle
vergnügt miteinander. Meine Miteisenden wollen von Raffael genau wissen, was das
Haus gekostet hat, wie er es heizt, wo er warmes Wasser herbekommt. Wie viel
das Öl oder Gas kostet. Kostet, kostet, kostet. Mir wird schlecht von diesen
Gesprächen. Ist das alles, worüber man sprechen kann? Warum fragt denn keiner,
wie Raffael das hier aushält. Jedes Mal muss er durch die große gelbe Schranke
fahren, wenn er hinaus will aus diesem Gefängnis. Wenn er ins Konzert geht nach
Tel Aviv oder zum Shopping oder zum Schwimmen ans Meer. Oder zur Arbeit. Jedes
Mal erinnert ihn diese Schranke und der Stacheldraht daran, dass er ein Leben
auf einer ummauerten, jüdischen Insel verbringt. Ein Ghetto-Leben.
Ich fordere zum Aufbruch auf. Meine lieben Mitreisenden
können sich kaum trennen. „Ach, es ist so schön bei Ihnen, Raffael. Und so
gemütlich.“ Vor allem Gerlinde Kampfhanwill nicht gehen. Sie hat sich
zu Khalil in die Küche gesetzt, wohin sich der feinfühlige Mann verzogen hatte,
und flirtet offensichtlich mit ihm. Wahrscheinlich will sie sich damit an
Raffael rächen, denke ich. Er hat sie abblitzen lassen, und so etwas tut weh.
Mit ein wenig Rache lässt sich der Schmerz verringern. Mit ihren großen, blauen
Glotzaugen schmachtet sie Khalil an. Er muss ihr alles ins Arabische
übersetzen. Er tut das mit Begeisterung. „Mus. “ sagt er und deutet auf
eine Banane. Sie wiederholt hingebungsvoll dieses Wort und befeuchtet sich
dabei mit der Zunge die Lippen. Blöde Ziege, denke ich.
Als wir endlich in Jerusalem ankommen, ist es kühl und
beinahe dunkel. Im Hotel bekommen wir als erstes frisch ausgepressten Orangensaft
und kleine Häppchen angeboten. Es ist ein sehr komfortables Haus. Ich verteile
die Zimmerschlüssel, bitte aber meine Gäste, noch in der Halle Platz zu nehmen,
bevor sie in ihre Zimmer verschwinden. „Das schönste Zimmer bekommt heute Herr
Doktor Nerwenka.“ Diese Spitze kann ich mir nicht verkneifen. Er freut sich
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