Der Mann aus Israel (German Edition)
Kunst, aber ich sehe, dass es sich hier um Kostbarkeiten handelt.
Auf dem Tischchen vor uns steht ein schwerttragender königlicher Wächter mit
grimmigen Augen aus Lapislazuli-Einlegearbeit. Als Fuß-Stütze dient ihm ein
sich windender Bronze-Dämon.
„Ich dachte mir, dass Dir dieses schummrige Museum gefällt.“
sagt Raffael lachend zu mir, als er mich völlig verwirrt umherblicken sieht.
„Das ist kein schummriges Museum, das sind unsagbare
Schätze. Das ist buddhistische Sakralkunst vom allerfeinsten.“ belehre ich ihn,
als ob er hier zum ersten Mal wäre. Er grinst nur. „Und eines Tages wird
Familie Buddha dann bei mir landen. Auf den Tag freue ich mich schon!“
„Dass Du Dich da nur nicht täuscht, mein Junge.“ Herr
Guttmann hat sich ein Zigarillo angezündet. „Das würde ich Dir nie antun. Diese
Dinge passen nicht in die Westbank.“ sagt er freundlich. Gefällt es ihm nicht,
dass sein Sohn ein Siedler ist? Er könnte ja ein paar von den Preziosen
verkaufen, sage ich zu mir, und mit dem Erlös Raffi dazu einladen, ordnungsgemäß
im Kernland zu wohnen. „Meine Sammlung geht ins Museum“, Er wendet sich an
mich. „wenn ich einmal nicht mehr da sein werde.“ Dabei lacht er mich so
fröhlich an, als sei mit dieser Wahrscheinlichkeit noch lange nicht zu rechnen.
„Ich verstehe wenig von chinesischer Kunst. Würde es Ihnen
etwas ausmachen, mir Ihre Stücke zu erklären?“ bitte ich den alten Herrn.
„Aber bitte nicht heute Abend.“ ruft Raffael. “Der Weg von
Gandhara über Tang zu Ming dauert Wochen.“
Wir ignorieren ihn. Otto Guttmann führt mich vor ein Podest,
auf dem ein kleines Köpfchen aus sandfarbenem Stein steht. Er holt eine Lampe
und richtet den Strahler genau auf das Gesicht der Skulptur. „Gucken Sie mal,
Frau Elisabeth“, sagt er. „dieser kleine Bodhisattva-Kopf aus dem sechsten Jahrhundert
ist eines meiner Prachtstücke. Spüren Sie diese Stille, die dem kleinen
Köpfchen entspringt? Die ganze europäische Gotik ist hier schon
vorweggenommen.“ Er leuchtet mit dem Strahler über das Gesicht und tatsächlich,
die Art der Frisur, der nach innen gerichtete Gesichtsausdruck, dieses seltsam
verschlossene Lächeln mit den niedergeschlagenen Augen, die Zartheit und
Eleganz, lässt einen sofort an die hohe Gotik denken. „Sie sieht ja aus wie Uta
am Dom von Naumburg. Nur ein bisschen asiatischer.“ sage ich beeindruckt.
„Ja, genau!“ freut er sich. „Sie haben es erfasst. Sie
scheinen ein gutes Auge zu haben.“ Er führt mich durch sein Privatmuseum. In
allen Räumen, auf allen Abstellmöglichkeiten, ob Schreibtisch, Bücherregal,
Stereoanlage, überall stehen prächtige kleine Figuren und Köpfe aus den alten
chinesischen Reichen.
„Haben Sie denn keine Angst, dass Ihnen diese wunderbaren
Dinge gestohlen werden?“ frage ich ihn. „Ach, was“, antwortet er. „ich habe
nicht einmal eine Alarmanlage. Nur eine Katze, die jault, wenn jemand kommt,
den sie nicht kennt.“ Demnach lebt er hier alleine. „Bei Ihnen hat sie übrigens
keinen Mucks gemacht. Deshalb war ich auch erstaunt, als Sie plötzlich in
meinem Wohnzimmer standen. Ich habe nur mit Raffael gerechnet.“
„Raffael“, ruft er. „Du weißt, dass Ida gestorben ist?“
„Nein, keine Ahnung.“ antwortet der Sohn. Er hat die Beine
über die Sofalehnen gelegt und schaut uns zu. Ich sehe einen Ausdruck in Raffis
Augen, den ich nicht kenne. Er lächelt versonnen, beinahe wie diese kleine
chinesische Statuette. Freut er sich, dass sein Vater und ich uns verstehen?
„Muss ich zur Schiwa dorthin?“ fragt er ohne
Begeisterung. Ich war noch nie auf einer Schiwa, der jüdischen
Trauerwoche, denke ich. Das würde mich sehr interessieren.
„Du solltest“, sagt Otto Guttmann. „Du solltest.“
„Verzeihen Sie, meine Liebe“, er wendet sich jetzt wieder
mir zu. „wir sehen uns so selten, Raffael und ich. Da muss ich ihm gelegentlich
auch solche Mitteilungen machen. Auch wenn es ihn nicht sonderlich interessiert.“
Er spricht ein klares, lupenreines Hochdeutsch mit einem leichten
Berliner-Akzent, als hätte er nie woanders als im Grunewaldgelebt. Kein Fehler, kein Zögern. „Ida
ist übrigens eine entfernte Verwandte von Raffaels Mutter. Nichts Tragisches,
dass sie tot ist. War alt genug.“ sagt er kokett.
„Wie geht es Deiner Gicht, Papa?“ fragt Raffael, als hätte
ihn der Tod von Ida an des Vaters Alter erinnert. „Ach“, antwortet Otto
Guttmann. „manchmal kann ich beinahe nicht mehr
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