Der Mann aus Israel (German Edition)
Schatzhaus.“ sage ich zu Otto Guttmann,
nachdem Raffael schon einige Male auf seine Uhr geschaut hat und stehe auf.
Otto Guttmann nimmt meine beiden Hände und schüttelt sie lange. „Dann besuchen
Sie mich doch einfach bald wieder. Ich würde mich herzlich freuen.“ Wir lachen
uns an, und ich spüre, dass wir uns mögen. Er nimmt eine Visitenkarte von
seinem Schreibtisch und drückt sie mir in die Hand. „Anruf genügt. Ich bin meist
zu Hause. Wissen Sie, ich gehe nicht mehr gerne hinaus. Es hat sich alles zum
Schlechten verändert hier in Jerusalem. Was soll ich mir das noch anschauen?
Meine Welt hier gefällt mir besser.“ Er schaut mich verschmitzt an. „Ich werde
wiederkommen!“ drohe ich ihm und stecke die Karte in meine Hosentasche. Er
klopft seinem Sohn auf die Schulter, und schon stehen wir draußen in der
dunklen, engen Straße. Mir kommt es vor, als sei das alles nur ein Traum
gewesen. Ich drehe mich um und sehe die erleuchteten Fenster mit den bunten
Glasscheiben. „Das war wunderbar.“ sage ich zu Raffael. „Ich danke Dir, dass du
mich mitgenommen hast.“
„Ich danke Dir“, antwortet er. „Du hast mir diese
ungeliebten Besuche bei meinem Vater für einmal versüßt. Er war so begeistert
von Dir, dass er mich in Ruhe ließ. Er hält nicht viel von mir.“
Ja, das habe ich gemerkt, denke ich und sage „Das haben
Eltern so an sich.“ Die Auswirkungen ihrer Differenzen habe ich mitbekommen,
aber die Gründe kenne ich nicht. Was Vater und Sohn wohl eigentlich trennen
mag? „Was hältst Du denn von ihm?“ frage ich Raffael.
„Nun, ich denke, er hat in seinem Leben mehr richtig gemacht
als ich.“ Das klingt enttäuscht.
Wir biegen in die King George Street ein. Noch ein
paar Minuten, und wir werden uns trennen, fährt es mir plötzlich durch den
Kopf.
„Wieso heißt er Guttmann und Du Kidon? Er ist doch Dein
richtiger Vater, oder?“ Ich kann nicht länger warten, ich muss das jetzt
wissen.
„Ja, klar, ist er mein richtiger Vater. Das mit dem Namen
ist ganz einfach. Als ich zum Militär ging, war es angebracht, meinen Namen zu
hebräisieren. Das ist nichts Besonderes, das machen viele hier. Und der Staat
wünscht es auch. Militärs müssen oft ins Ausland. Denke nur an berühmte
Israelis wie Amos Oz, Amos Elon oder Ephraim Kischon. Die hatten ursprünglich
alle europäische Namen. So wie ich auch.“
„Bedeuten diese neuen Namen etwas?“ frage ich.
„Ja, klar. Weißt Du nicht, dass Oz der Pfeil ist und Elon die Eiche.“ antwortet er. Ich muss lachen. Eiche, Pfeil das klingt ja
unglaublich. Fehlt nur noch Sturm und Lorbeer .
„Das sind ja geradezu aggressiv-imperialistische Namen.“ Ich
muss immer wieder staunen über dieses Volk. „Und was heißt dann Kidon? “
frage ich ihn lachend. „Etwa Blitz?“
„Nein.“ Er schaut mich von der Seite an und zögert einen
Moment. „ Kidon heißt Speer.“
„Ich bin beeindruckt, Herr Speer.“
Kaum kann ich glauben, was ich gerade gehört habe. Man nennt
sich doch nicht freiwillig nach Kriegsgerät. „Kanone hätte aber noch besser zu
Dir gepasst!“
Er schaut ein wenig betreten. „Ich hätte auch lieber einen
anderen Namen gehabt. Einen kleinen Anklang an Guttmann . Irgendetwas
friedlicheres.“
„Ja, aber?“ Ich bin gespannt, wie er zu dem Namen Speer kam. „Hast Du für Hektor oder Achill geschwärmt?“ Was für ein wunderbarer
Gedanke, sich neu benennen zu können. Sich einen Namen zu wählen, der eigenes
Programm ist, der für eine Überzeugung steht. Ich für meinen Teil habe die
Namen Behrens und Tobler nie geliebt. Hätte ich, wie Raffael, eine Chance, mich
neu zu taufen, ich würde mich Sonnenhimmel nennen oder Morgenlicht oder Sternenzelt, aber doch nicht Speer !
„Nein, meine erste Frau wollte es so.“
„Seit wann bist Du so nachgiebig Frauen gegenüber?“ stichle
ich.
„Damals war ich es noch. Dann wahrscheinlich nie wieder. Sie
hat alles bestimmt. Und am Ende hat sie mir alles weggenommen.“ Für einen
Moment ist er ganz in Gedanken versunken. Dann schüttelt er kurz mit den
Schultern, als müsse er sich von einer Last befreien.
Wir stehen vor dem Hotel. Voller Schrecken denke ich, dass
er jetzt gleich gehen wird. „Ich muss laufen, Elisabeth“, sagt er. „sonst fährt
der Bus ohne mich.“ Wir schauen uns einen Moment in die Augen. Ich habe den
ganzen Tag versucht, den Gedanken an diesen Moment zu verscheuchen. Ich habe
mir eingeredet, dass es mir nichts ausmachen wird, wenn der Erzengel
Weitere Kostenlose Bücher