Der Mann aus Israel (German Edition)
Schwarzwälder Schinkens.“ Mit
zierlicher Hand führt er seine Tasse zum Mund und schlägt die Beine
übereinander. Zum roten Pulli trägt er rote Socken, die Schuhe sind feinste
englische Ware. Er ist elegant auf eine lässige Art. Kein feister Stiernacken
wie sein Sohn. „Vater war ein aufrechter Deutscher, war Offizier im ersten
Weltkrieg gewesen, seine noble Arztpraxis hatte er am Tiergarten. Wilhelm hieß
er. So wie mein älterer Bruder. Wilhelm und Otto.“ Er zwickt die Augen zusammen
und für einen Moment sehe ich seinen Mund zucken. „Wilhelm haben sie in
Buchenwald zerhackt. Vater. Mutter. Alle.“ Er wischt sich mit der Hand übers
Gesicht. „Na, wenigstens Otto hält die Stange.“ Jetzt lacht er wieder und seine
grünen Augen schauen mich kurz mit einem tiefen, durchdringenden Blick an, den
ich kenne. Der Blick des Sohnes, wenn ihm etwas unangenehm ist. „Immerhin sorgt
mein Sohn Raffael mit seiner Speer-Brut fürs Weiterleben der Dynastie. Sechs
Enkel hat er mir geschenkt.“ Beim Wort geschenkt verdreht er die Augen.
An seinem Sohn lässt er kein gutes Wort. Ich muss da nachbohren. Aber Otto
Guttmann ist im Moment noch mit den Dreißiger Jahren beschäftigt. „Und dann
bekam ich Kinderlähmung. Zwei Jahre lag ich im Kibbuz flach. Es war wohl auch
die Unterernährung, die mich zum Krüppel machte. Die Genossen pflegten mich
rührend, aber mit wenig Erfolg. Schließlich brachten sie mich doch nach
Jerusalem ins christliche Krankenhaus. Ein bisschen spät. Ich wurde zwar
geheilt, aber ein kleines Hinken ist mir als Andenken für immer geblieben.“ Er
deutet auf seinen Unterschenkel.
„Hat mich aber von nichts je abgehalten.“ Es ist ziemlich
klar, was er meint. Er muss ein flotter und draufgängerischer Bursche gewesen
sein. Selbst mit seinen zweiundachtzig Jahren wirkt er noch aufregend genug und
alles andere als greisenhaft. „Irgendwie war die Polio ja auch ein Glücksfall
für mich. Endlich war ich in der Stadt, weit weg von diesem Bauernleben. Mein
Plan stand auch schon fest: ich wollte Medizin studieren. Aber ich hatte kein
Geld. Das war gewissermaßen ein Problem.“ Er steht auf und geht zur
Musikanlage. Das Klavierkonzert von Bach ist schon eine Weile verklungen. „Was
möchten Sie denn hören?“ fragt Otto Guttmann. Ohne zu überlegen sage ich Wagner .
Im gleichen Moment ist es mir schon peinlich, ich weiß, dass in Israel Wagners
Musik immer noch nicht öffentlich aufgeführt wird. Hauptsächlich wegen der
Proteste seitens der alten, ehemaligen Deutschen im Lande. Menschen wie Otto
Guttmann. Ich werde ganz rot. „Es tut mir leid, wenn ich Sie damit vor den Kopf
gestoßen habe.“ sage ich betreten.
„Richard Wagners Musik hat keinen in die Gaskammer
gebracht.“ antwortet er. „Höchstens mit seiner Musik wurden sie vergast.
Aber dafür kann er nischt.“ Er legt die Siegfriedidylle auf, den
symphonischen Geburtstagsgruß Wagners an seine Frau Cosima. Keines meiner
Lieblingsstücke.
„Ich strapazierte tagelang die Herren der Jewish Agency mit
meinen Studierwünschen. Ich glaube, ich bin ihnen derartig auf die Nerven
gegangen, dass sie mir schließlich ein kleines Stipendium gaben. Für Amerika.“
erzählt er weiter. „Ich tanzte durch die Straßen von Jerusalem wie ein
Verrückter, mein Traum war in Erfüllung gegangen. Ich fuhr ins Kibbuz, um meine
Sachen zu holen. Sie verstanden die Welt nicht. Bloß nicht Doktor, Otto, sagten sie, was wir brauchen sind Bauern und Handwerker. Aber sie ließen
mich ziehen.“ Seine eigene Geschichte zu erzählen, scheint ihm Spaß zu machen.
Der Rückblick macht ihn keineswegs sentimental, amüsiert ihn eher, so als
berichtete er über einen, den er irgendwann einmal gekannt hat. Der alte Herr
ist klug, denke ich, er hält sich die Bitterkeit durch Distanz und Ironie vom
Leibe. Ich werde mir das merken müssen, wenn das Alter über mich hereinbricht.
„Und so fand ich mich die nächsten fünf Jahre in Boston
wieder. Auch dort nichts als Hungerleiden und Verzicht, mein Stipendium war
winzig klein. Aber immerhin konnte ich studieren und das tat ich. Ich wollte
wenigstens als guter Arzt zurückkehren, wenn ich meinem Land in den wichtigen
Jahren schon nicht in persona beistehen konnte. Als Doktor Guttmann
bestieg ich in New York das Schiff, das mich nach Palästina zurückbringen
sollte. Ich reiste natürlich dritter Klasse. Unsere „Kabinen“, es waren bessere
Holzverschläge, lagen unter Deck, im Wasser sozusagen, finster und modrig.
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