Der Mann aus Israel (German Edition)
politischen
Situation in Deutschland nicht gehört. Und siehe da, ich lebe noch immer. Sie
nicht.“ Er spricht ein wenig leiser jetzt, aber immer noch mit dem
unerschütterlichen Humor in der Stimme und dem lebensfrohen Zwinkern in den
Augen. Kein Sarkasmus, kein Hass. Wie schafft er das? „Lustig war das schon,
damals. Nischt wie Rosinen im Kopf hatte ich, keine Ahnung davon, was mich hier
unten erwartete.“ Er lächelt vor sich hin. „Das Grüppchen Auswanderwillige, wir
waren so etwa fünfzig junge Leute, wurde zuerst einmal nach Stettin zitiert. Es
gab dort so etwas wie ein Vorbereitungslager für Palästina.“ Er schaut auf
seine gepflegten Hände. „Die meisten von uns waren Bürschchen wie ich. Verwöhnt
und unsportlich, ans körperliche Arbeiten nicht gewöhnt. Das mussten wir erst
lernen. Wir trugen fesche Blazer und Schiebermützen, feine Socken und
Golfschuhe. Nur ein paar Landpomeranzen waren dabei, die anderen alle schnieke Fünf-Uhr-Tänzer.“ Ich kann ihn mir gut vorstellen, wie er sich seinerzeit
in Berlin die Fliege zurechtgerückt hatte und auf Mädchenfang ins Hotel Adlon gegangen war.
„Wir wurden in Drillichanzüge gesteckt und schufteten als
Anstreicher, Gärtner, Straßenpflasterer, mussten Böden schrubben und Pisspötte
ausleeren. Trockenübungen bei aufgedrehten Heizkörpern als Simulation der Hitze
in Palästina. Ich stellte mich mordsdusselig an, konnte nich ‘ne Tomate von
‘ner Orange unterscheiden.“ Er berlinert jetzt wieder. „ Aus Dir wird nie ein
Kibbuznik, Otto, sagten sie zu mir. Und recht sollten sie behalten. Als ich
nach zweijähriger Wartezeit dann endlich mein Einwanderungszertifikat für
Palästina bekam als sogenannter „Quoten-Jude“, wie sie uns nannten, reiste ich
mit dem ollen Kutter Patria ins gelobte Land und ich einem Kibbuz voller
Deutscher, nahe bei Rehovot zugewiesen wurde, hatte keiner Freude an meiner „Außenarbeit“. Der hat ein großes Hirn, aber zwei linke Hände hieß es. Zu Fressen gab
es auch nischt. Wassersuppe, Wassersuppe, Wassersuppe. Manchmal schwamm eine
Mohrrübe in der trüben Brühe.“ Er schaut mich an und lacht. „Mädels gab es auch
keine, jedenfalls keine hübschen. Muskulöse Trampel waren das, insgesamt drei.
Es gab noch zwölf Ehepaare und der Rest waren hungrige Männer in meinem Alter,
ausgehungert in jeder Beziehung. An die dreißig Burschen. Ich hatte ganz schön
die Nase voll, das kann ich Ihnen sagen. Immer nur Felddienst und Hunger, Hitze
und Entbehrung. So hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt. Mir war es
schon recht, das Land aufzubauen und umzupflügen, zu graben und heldenhafte
Lieder zu singen, aber zwischendrin wäre ich doch gerne in meinem roten Hemd
und meinem roten Pulli in anständigen Schuhen auf den großen Boulevards
flaniert.“
Nicht ein einziges Mal hat er bisher seinen Glauben erwähnt.
Er spricht immer nur von Mädchen, vom Essen, vom unerträglichen Klima. „Sind
Sie denn nicht fromm?“
Er lacht laut heraus. „Fromm? Das meinen Sie doch wohl nicht
ernst, mein gutes Kind. Wer soll nach der Schoah noch an Gott glauben? Aber
auch damals hatte ich meinen religiösen Wahn schon hinter mir. Er hatte nicht
lange gedauert. Vier Wochen vielleicht, und das als ich vierzehn war, so um die
Zeit meiner Bar Mizwa . Stellen Sie sich vor, diese jüdischen Pfaffen
wollten mir, einem Kind des zwanzigsten Jahrhunderts in Berlin, die 613 Gesetze
des Judentums aufschwätzen. Eine Weile habe ich mir das angehört, fühlte mich
als wichtiges Glied in der langen Reihe der Juden seit Abraham. Aber als man mir
weismachen wollte, dass man am Schabbat klopfen darf, aber nicht klingeln, weil
das eine Arbeit das andere aber nicht ist, war es vorbei mit meiner
Begeisterung. Zerreißen darf man am Schabbes auch nichts. Also, was machen die
meschiggenen Frommen?“ Er lacht hart. „Sie reißen sich schon am Freitagnachmittag
das Klopapier in handliche Streifen, damit sie sich am Tag des Herrn ohne Sünde
den Hintern abputzen können.“ Er macht eine abwehrende Bewegung mit der Hand.
„Ne, das ist nischt für mich. Ich bin kein Beduine aus der Wüste und ins Alte
Testament wollte ich auch nicht emigrieren.“
„Und Zuhause in Berlin, wie war es da denn?“ Ich stelle die
Gretchenfrage und komme mir ziemlich blöd dabei vor.
„Vater war zwar Vorsitzender des „Zentralvereins deutscher
Staatsbürger jüdischen Glaubens“, aber am liebsten vertilgte er zu den
trockenen Mazzen herrlich dicke Scheiben
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