Der Mann aus Israel (German Edition)
In
der Kabine nebenan schlief Hannah.“ Er atmet tief durch. Diese Erinnerung
scheint ihm schaffen zu machen. Er zögert einen Moment, bevor er weiterspricht.
„Raffael ist ihr Ebenbild. Ich kann ihn nicht anschauen, ohne an Hannah zu
denken.“ Bis auf die Augen, denke ich, die hat der von Dir, Otto Guttmann,
diese glitzernden Smaragde, die einem den Herzschlag aussetzen lassen können.
„Sie war Malerin, ich Internist. Wir passten von Anfang an
nicht zusammen. Aber die Liebe war groß. Sie war störrisch, arrogant,
blitzgescheit, eckte überall an - so vieles hat er von seiner Mutter. Kurz
bevor Miki zerschossen wurde, hatten wir uns getrennt.“ Ein ganzes Liebesleben
in ein paar trockene, kurze Sätze gepfercht.
„Wissen Sie was, meine Liebe, jetzt hätten wir uns
eigentlich einen schönen Cognac verdient, nicht wahr?“ sagt er, schon wieder
heiter. Er geht ins Nebenzimmer und kommt mit einer bemalten Kristallkaraffe
und zwei Cognac-Schwenkern zurück. Vielleicht hat er die damals noch aus
Deutschland hierher geschleppt, denke ich. Die deutschen Einwanderer brachten
ja nicht nur Porzellan und Silber mit, sondern auch ihre Bettdecken,
Damastservietten, ihre maßgeschneiderten Anzüge aus deutschen Werkstätten und
so allerlei Krimskrams, was ihnen zu einem angenehmen Leben nötig schien:
Kirschenentsteiner, Zigarrenscheren, Briefwaagen, kleine Tischbesen mit
Krümelschaufeln. Alles im Schatten des aufkommenden Naziregimes. Ich habe
gelesen, dass die deutschen Juden in den riesigen Holzcontainern, mit denen sie
ins Heilige Land flüchteten, ganze Flügel, Mahagonianrichten und Kühlschränke
aus Deutschland im Schlepptau hatten. Ein Stück Vertrautheit in der fremden,
aufgezwungenen Heimat.
Er schenkt uns beiden einen kräftigen Schluck ein. Ist es
die Erinnerung an Hannah, die nach einem Doppelten schreit? „Alle waren
verrückt nach ihr - ich am allermeisten. Aber diese Frau konnte nicht wirklich
lieben. Sie hatte keinen Sinn für andere.“
„Hat er das auch von ihr?“ entwischt es mir. Er schaut mich
nachdenklich an und zögert einen Moment. „Ja, mein Kind.“ antwortet er. „Es ist
kein Zuckerschlecken, solche Menschen zu lieben.“ Er trinkt einen Schluck. „Im
Moment richtet er gerade die gute Linda zugrunde.“
Er nimmt noch einen Schluck und schweigt. Er scheint in
Gedanken weit weg zu sein. In der Vergangenheit, nehme ich an. Ich warte, bis
er zurückkommt und schaue mich derweilen im Zimmer um. Der namenlose Kater
sitzt wie eine ägyptische Statuette still und aufmerksam auf dem Schreibtisch,
die Vorderpfoten ordentlich nebeneinander gestellt. Unverwandt hat er den Blick
aus grünen Augen auf mich gerichtet. Als ich den Blick erwidere, wendet er sich
ab. Mit einer leichten Drehung stellt er sich auf und wandert mit einer
provozierenden Langsamkeit über die Bücher und Zeitschriften auf dem Schreibtisch.
Er streckt mir den Hintern entgegen, mit dem er sanft hin und her schwankt.
Welch sinnliche Bewegung, denke ich, und muss sofort an Raffi denken, wie er
sich leicht windend, mit einem kleinen behenden Dreh in den Hüften und einer
ungeheuren Leichtigkeit aus einem Stuhl schwingt. Ich spüre wieder dieses
Rieseln in meinem Bauch, starre auf die Katze und sehe wie die Katze vor mir
für einen Augenblick zu Raffi wird. Mir wird ganz heiß.
Aufreizend und ihrer Unbesiegbarkeit bewusst, stolziert
dieses arrogante Biest über Otto Guttmanns gesammelte Notizen. Ich möchte sie
in den weichen Bauch treten, bis sie jault vor Schmerzen und Erniedrigung und
zugleich möchte ich sie streicheln, meinen Kopf in ihr warmes Fell wühlen.
„Und dieser Neandertaler war einmal ein vielversprechender
Bursche.“ höre ich Otto Guttmanns Stimme. Er ist zurück von der Wanderung durch
die Höhlen seiner Erinnerungen.
„Komisch“, sagt er, “ich habe lange nicht über ihn
nachgedacht. Die Herzlosigkeit des äußeren Umgangs mit ihm hat doch tatsächlich
auch mein Inneres erfasst. Ich war sicher, die Grübelei über meinen Sohn zu den
Akten gelegt zu haben. Aber als er gestern hier saß, die Augen träumerisch und
weich, die Beine über den Sesselrand gelegt, entspannt und aufmerksam, so gar
nicht der zackige Mister Unnahbar, den er mir immer vorspielt, habe ich
plötzlich einen Schmerz gespürt.“ Er lächelt mich an, ein wenig zaghaft, als
würde er sich genieren für das Quantum an zu viel Gefühl. „Ich bedauerte für
einen Moment zutiefst, dass wir einander so fremd geworden sind.“ Er zeigt
Weitere Kostenlose Bücher