Der Mann aus Israel (German Edition)
ihm.
Ken le schalom lo le alimut heißt der Slogan der
Friedenskundgebung. Ja zum Frieden, nein zur Gewalt. Endlich wieder ein Großanlass
der Linken, höre ich, nachdem sie viel zu lange geschwiegen hatten, während die
Rechtsnationalen sehr eifrig waren mit ihren öffentlichen Auftritten, bei denen
sie ihre Hetzparolen in die Menge schrien. „Netanyahu, der Likud-Chef behauptet
immer, das Volk sei gegen die Friedenspolitik von Rabin und Peres.“ erklärt mir
Jason. Schon wieder dieser Name, denke ich, das war doch der, der seinen
Anhängern nicht untersagte, Rabin in SS-Uniform auf ihre Plakate zu kleben. Netanya
who?
„Dieser Arsch“, sagt Rachel wütend. „dieses Miststück,
dieser Koffer ohne Inhalt. Das einzige, was er kann ist die Menge aufhetzen.
Ich hoffe bloß, es kommen genügend Leute morgen. Es ist die Chance, zu
zeigen, dass die Regierungspolitik okay ist. Und dass die Rechten falsch
gewickelt sind, wenn sie das Gegenteil behaupten.“
Sie rauchen und trinken und reden alle durcheinander. Ich
höre, dass Mary-Anne, die vierte in der Runde, sich Sorgen macht, ob genügend
Sicherheitskräfte bestellt worden sind. Sie ist immer so zaghaft, hat bei der
kleinsten Kleinigkeit Bedenken. „Hey, Mary-Anne, Du bist in Jerusalem, nicht
mehr in Chicago.“ lachen die anderen sie aus. Sie ist schon zehn Jahre hier,
ihr Hebräisch ist kaum verständlich, so stark ist ihr amerikanischer Akzent.
Sie ist Malerin und hat sich ganz dem Umsetzen von alttestamentarischen
Geschichten in kleine Bildchen verschworen. Sie verkauft sie sehr gut, aber sie
sind schrecklich kitschig. Parkplatzprobleme, Lautsprecherboxen, Plakate,
Getränkebuden, Kerzenverkäufer, Absperrungsbänder. Sie gehen noch einmal alles
genau durch. „Was meint Ihr, wie lange wird Rabin reden? Ob er sich an die
Zeitangabe hält? Hoffentlich fasst er sich kurz, sonst wird es langweilig.“
Rachel fährt mit der Hand durch ihr schwarzes Haar. Ankunftszeiten der Busse,
Toilettenhäuschen, Mikrophonständer, Blumenbouquets, Wegweiser. Sie haben so
vieles zu besprechen. Ich fange an, mich zu langweilen. Ich setze mich ans
Fenster und schaue hinaus in die Nacht. Die Rechtsnationalen werden sicher auch
Leute zu der Kundgebung schicken, denke ich, schon allein, um zu stören. Hat
Guttmann nicht gesagt, dass Raffael auch ein Rechtsnationaler ist? Ob er dann
auch dorthin nach Tel Aviv fährt und mit aufgerissenem Maul gegen Rabin
skandiert? Mich fröstelt bei dem Gedanken. Ich greife mir um die Schultern und
lasse den Kopf nach vorne sinken. Ich habe genug für heute, ich verstehe
sowieso nichts mehr. Ich bin plötzlich müde und deprimiert und möchte ins Bett.
„ Elisabeth, are you okay ?“ Jason hat mich von hinten
umarmt und mir einen kleinen Kuss auf den Nacken gedrückt. Ich erschrecke ganz
entsetzlich.
„Ja, ja. Es geht mir sehr gut. Ich bin nur vollkommen
geschafft. Ich werde jetzt in mein Bett torkeln.“
„Hast du wieder so ein obergeiles Zimmer?“ ruft Rachel aus
der anderen Zimmerecke. „Mit Clubsesseln, Mahagoni-Schreibtisch und Balkon?“
Ich nicke. „Diesmal bin ich sogar im zweiundzwanzigsten
Stock. Der Blick ist irre schön. Aber ich fahre leider übermorgen zurück nach
Europa. Sonst hätten wir eine Balkon-Party machen können wie letzten Frühling.
Schade.“
Ich stehe auf und beginne, mich zu verabschieden. „Du musst
morgen unbedingt mitkommen. Wir holen Dich ab. Sagen wir um sechs Uhr?“ sagt
Stephan. Ich winke ab. „Ich glaube nicht, dass ich mitkomme. Ich werde die
Ansprachen nicht verstehen. Die reden immer so schnell. Außerdem mag ich nicht
gerne in der Masse stecken. Da bekomme ich Angst.“
„Es ist ein Frage der Überzeugung, nicht der eigenen
Bequemlichkeit.“ belehrt mich Rachel. „Du bist doch für den Frieden, oder?“
„Ich rufe Euch rechtzeitig morgen an, okay? Sobald ich vom
Toten Meer zurück bin. Dann werden wir sehen.“ Jeder küsst mich dreimal. A la française.
Sie rufen ciao, bye, see you.
Jetzt muss ich wieder ewig durch die Straßen wandern, denke
ich, bis ich zu meinem Hotel komme. Aber auf ein Taxi habe ich keine Lust. Es
könnte ja wieder so ein rothaariger Rassist sein. Ich habe genug für heute. Außerdem
sind auch Taxis am Freitag-Abend dünn gesät.
„ Schabat Schalom. “ begrüßt mich das Etagenmädchen, als
ich aus dem Lift trete. Ludmilla steht auf ihrem Schildchen am
Schürzenkragen. „Ich habe gerade Ihr Zimmer für die Nacht vorbereitet. Ich
hoffe, es ist alles in bester
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