Der Mann aus Israel (German Edition)
Dir
sein, Raffi. Warum bist Du nicht da? Wir könnten hinüber zur Montefiori -Windmühle
spazieren, auf die beleuchtete Mauer der Altstadt und den Zionsberg schauen,
und ich könnte Dir sagen, wie egal mir alles ist, was Du einst getan hast, wer
Du einst warst, dass für mich nur das Jetzt zählt und jetzt möchte ich Dir nahe
sein, ganz nahe. Ich gebe mir einen Schubs und gehe durch die offene Tür hinein
in Jasons Backstein-Reihenhäuschen. Meine Freunde stehen um einen kleinen
runden Tisch, der Qualm ihrer filterlosen Zigaretten hüllt sie ein wie ein
Nebel. Jason. Rachel. Stephan. Mary-Anne. Vehemente Befürworter der
Friedensaktivitäten von Premierminister Rabin. Alle vier haben schwarze Jeans
und schwarze T-Shirts an. Irgendwie rührt es mich, dass sie ihre Überzeugung im
Gewand zur Schau tragen. Ganz ernsthaft. Späte Existentialisten. Im Unterschied
zu uns damals in den Sechzigern wissen sie aber wenigstens was das ist Existenzialismus.
„Schalom. “ sage ich laut und alle drehen sich um.„ Hi, Elisabeth, wie wunderbar!“ ruft Jason und kommt auf mich zu. „Ich habe schon
befürchtet, Du kämst nicht mehr.“ Er spricht hebräisch mit mir und übersetzt es
dann immer sofort ins Englische. Das gibt mir das Gefühl, ein wenig beschränkt
zu sein. Aber er ist so außerordentlich höflich, dass ich auch diesmal nichts
Bissiges sagen mag. Jason ist ein großer, durchtrainierter Junge, er hat eine
klitzekleine, runde Brille auf der Nase und ganz kurzgeschorene blonde Haare.
Rachel, seine Freundin, hält ihn an der Hand, sie ist ein bildschönes Mädchen
mit persischen Eltern. Ihre pechschwarzen Haare trägt sie schulterlang, die
Lippen sind dunkelrot geschminkt und um die Augen hat sie dicke, schwarze
Balken gemalt. Ich muss sofort an die fleischfressende Blume aus Persien denken.
Ob sie wohl so ausgesehen hat, die schreckliche Ester? Rachel nimmt ihre
Zigarette aus dem Mund, um mich zu umarmen, ihr Englisch hat einen
französischen Klang, was ich unerhört reizvoll finde. Jedes Mal, wenn ich
Rachel treffe, kann ich den Blick nicht von ihr abwenden, sie ist schön wie ein
Gemälde. Ob sie es wohl weiß? Manchmal zweifle ich daran, sie flirtet nie, sie
spricht immer nur von ihrer Arbeit. Sie ist Gewerkschaftssekretärin bei der Histadrut. Und das mit Leib und Seele. „Du musst morgen unbedingt kommen, Elisabeth.
Wir sind froh um jeden, der kommt.“ sagt sie und zieht mich in den Kreis der
anderen. Ich bekomme Rotwein. Diesmal ist es kein edler Montepulciano, Jahrgang 1985 . Ich erfahre, dass am nächsten Tag die Gewerkschaft,
zusammen mit der Arbeiterpartei, der israelischen Intelligenzija, eine
Friedensdemonstration organisiert hat. In Tel Aviv auf dem großen Malchei
Israel- Platz. Morgen Abend um acht Uhr. „Stell` Dir vor“, erzählt Stephan,
„fast alle wichtigen Leute werden da sein. Yitzhak Rabin, Schimon Peres, Yossi
Sarid. Die Botschafter von Jordanien und Ägypten und Marokko, fast das ganze
Kabinett und der Knessetsprecher Scheva Weiss, sogar ein paar Drusenführer aus
Galiläa.“ Er ist ganz aufgeregt. „Aviv Gefen wird singen und Jaffa Jarkoni.“ Er
nennt noch ein paar Namen von israelischen Schlagersängern, aber ich verstehe
die Namen nicht. Ich kenne mich im Pop des Landes nicht aus. „Es wird toll. Hoffentlich
kommen nur genügend Leute.“ Sie reden alle durcheinander. Sie befürchten, dass
sie zu wenig Reklame für die Demo gemacht haben und zittern bei dem Gedanken,
dass die hochkarätigen Politiker und Musiker vor einem halbleeren Platz stehen
werden. „Wenn fünzigtausend kommen, können wir zufrieden sein. Dann sieht der
Platz relativ voll aus, und wir blamieren uns nicht.“ sagt Stephan. Er ist
Mathematiker. Das ist nicht zu übersehen. Er ist ständig mit Messen und Wiegen
und Kalkulieren beschäftigt. Ich habe mich schon oft gefragt, wie sein
Liebesleben wohl aussehen mag.
Er kam als deutscher Zivildienstleistender hier ins Land,
ein Christ, und arbeitete seine „Aktion Sühnezeichen“-Zeit in einem jüdischen
Altersheim ab. Danach blieb er in Israel. Jetzt lebt er mit seiner jüdischen
Frau und zwei Kindern in einem Kibbuz in der Nähe von Jerusalem, unterrichtet
am Tag Mathematik an einem Gymnasium in der Stadt und arbeitet abends in seinem
Kibbuz weiter. Fährt Traktor, bringt die Ernte ein, repariert kaputte Möbel,
putzt Fenster, installiert Computerprogramme, macht die Buchhaltung. In einem
Kibbuz bringt jeder ein, was er vermag, sagt er, und genau das gefalle
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