Der Mann aus Israel (German Edition)
Also, gib` Acht. Bis heute Abend spielen wir
beide ein perfektes Theater, dann werde ich Dich wieder betäuben mit meiner
Gier.“ Er schlüpft in seine Hosen, zieht den Reißverschluss hoch, zwinkert mir
zu und verschwindet aus der Tür.
Wir fahren die steile Straße hinunter durch die judäische
Wüste zum Toten Meer. In weniger als einer Stunde überwinden wir eine
Höhendifferenz von 1200 Metern. Ich habe mich vorsichtshalber auf den
Einzelsitz neben dem Fahrer gesetzt und nicht wie sonst neben Raffael. Perfektes
Theater verlangt er. Er beherrscht es besser als ich, denke ich, er verzog
keine Miene, als er mich sah. Mir zittert das Mikrofon ein wenig in der Hand,
als ich den Touristen vom Leben der Beduinen in der Wüste erzähle.
„Jetzt, wo Du dem Land Israel tiefen Einlass gewährt hast,
kann ich Dir wohl unbesorgt das Mikrofon übergeben. Erzähl` mal was Schönes.“
Mit diesen Worten hatte mich der Erzengel begrüßt und dabei über das ganze
Gesicht gegrinst, als ich in die Kühle des Jerusalemer Morgens hinausgetreten
war und mich zur Gruppe gesellt hatte, die sich vergnügt plappernd und
erzählend um Raffael scharte. Die Plastiktüten mit den Badesachen für den
genussreichen Nachmittag am Toten Meer wurden im Bus verstaut. Raffael
überreichte jedem Touristen eine Orange als Morgengabe, mir gab er keine.
„Kannst ruhig ein wenig schnell fahren. Dann haben wir die Schieße
bald hinter uns. Ich bin müde und will schlafen.“ sagte er zu Khalil, der den
Bus gerade startklar machte. Zu ihm, wie auch zu mir, spricht er heute Morgen
nur in Hebräisch. Der Sprache der Sieger, fährt es mir durch den Kopf.
Wir fahren am Ufer des Toten Meeres entlang. Grau und
unansehnlich liegt die Dreckbrühe im Morgenlicht. Ich weiß, ich müsste den
Touristen jetzt allerlei von diesem See erzählen: Grabenbruch, Mineralgehalt,
Länge, Breite, Nutzen, pollenlose Atmosphäre. Aber ich kann nicht. Mir wehen
die Gedanken im Hirn herum, ich bin völlig verunsichert. Ich möchte mich
umdrehen und Raffi in die Augen schauen. Nutte, hat er gesagt, wenn sie es
merken, wirst Du für sie eine Nutte sein. Mein Gott, im Himmel, was habe ich
nur getan? Wieso ist er so merkwürdig kühl heute Morgen? Ist es wirklich nur
die Schauspielerei vor den Touristen? Oder ist für ihn mit dem Morgengrauen das
Interesse an mir erloschen? Ich muss dauernd schlucken, ich kämpfe mit den
Tränen, mein Mund zuckt hin und her. Ich reibe mir die verkrampfte Stirn, in
meinem Rücken stecken messerscharfe Klingen. Nutte! Am Ende hält er mich für
eine. Verdammt nochmal, was habe ich nur getan?
Wir halten in Qumran. Ich kann mich nicht konzentrieren, ich
müsste von den Schriftrollen, von den Essenern und dem ganzen Mist erzählen,
aber ich finde den Anfang nicht. Die Schweißperlen stehen mir auf der Stirn,
meine Beinmuskeln schmerzen und erinnern mich an die vergangene Nacht. Er wird
doch nicht, um Gottes Willen, er wird doch nicht nur zu mir gekommen sein, um
mich aufs Kreuz zu legen? In meinem Kopf herrscht ein chaotisches
Durcheinander. Ich kann jetzt nicht hinübergehen zu den Ausgrabungen, meine
Knie zittern. Ich muss mich irgendwo hinsetzen.
„Meine lieben Damen und Herren“, sage ich so fröhlich ich
kann ins Mikrofon. Hoffentlich merkt niemand, wie belegt und blechern meine
Stimme klingt. „Raffael wird Ihnen jetzt ein bisschen Qumran zeigen. Ich werde
inzwischen die Reservierungen in der Badeanstalt vornehmen.“ flunkere ich. „Wir
sehen uns dann in einer halben Stunde am Bus wieder.“
Ich springe ganz schnell aus der kaum geöffneten Tür und
verschwinde in Richtung Toiletten. Ich setze mich auf die Kloschüssel und
heule. Ich bleibe sitzen, bis jemand wütend an die Tür klopft. Einmal tief
durchatmen, befehle ich mir, und dann mit hoch erhobenem Kopf hinausstolzieren.
Genau das mache ich. Ich würdige die dicke Frau vor der Toilettentüre, die sich
schon die Hose aufgeknöpft hat, so scheint es sie zu eilen, keines Blickes. Ich
halte mein Gesicht unter den Strahl des Wasserhahnes, richte mir die Frisur ein
wenig und gehe hinaus in die brütende Hitze. Ich lehne mich an den Baum hinter
dem Klo und starre vor mich hin. Nutte. Nutte. Du bist eine Nutte. Ich kann
nichts anderes denken.
„Elisabeth“, es ist Raffaels Stimme. Sie klingt herrisch und
kalt. Ich zucke zusammen. „dreh` Dich um und schau mich an.“
Ich wende mich ihm langsam zu, er nimmt mir vorsichtig die
Sonnenbrille ab. Seine Augen tasten über mein
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