Der Mann aus Israel (German Edition)
hat. Bei dem bist Du aufgewachsen, das
erklärt dann auch gleich, weshalb du nichts weißt.“ Er liebkost meine Wange und
schaut mir belustigt in die Augen. „Nu? Was hat Dich so verärgert, mein Juwel?
Ich sehe gefährliche Lavaglut in Deinen Augen funkeln.“ Ich winde meinen Kopf
in seiner warmen Hand, die Berührung beruhigt mich, mein Zorn ist verweht.
Hysterische Kuh, denke ich und schäme mich.
„Es ist nichts.“ sage ich leise.
Wir fahren am Toten Meer entlang und biegen kurz vor Jericho
hinauf nach Jerusalem. Im Bus ist es still. Ich drehe mich um und sehe, dass
alle Gäste schlafen. Ihre Köpfe wackeln leicht vor sich hin, der Mund von Herrn
Albertz steht weit offen, das Gebiss hat sich vom Oberkiefer gelöst und hängt
lose in seinem Mund.
„Was meinst Du, Raffi, können wir noch rasch am Ölberg
anhalten? Das Licht ist so schön, und ich würde den Touristen gerne den Blick
hinüber zur Altstadt gönnen.“
„Wenn Du Dich beeilst.“ antwortet er.
„Ja, ja fünf Minuten reichen leicht.“
Er gibt Khalil Bescheid und weist ihn an, nicht über die
arabischen Dörfer zum Ölberg hinaufzufahren, sondern den längeren Weg über die
israelischen Straßen. In der scharfen Rechtskurve zum Aussichtsplatz am Ölberg
wachen die Gäste auf. Raffi greift zum Mikrofon.
„Ihre fürsorgliche Reiseleiterin will Ihnen zum Schluss des
heutigen Tages noch einen besonderen Blick auf die Altstadt von Jerusalem
bieten.“ Die Gäste stimmen freudig zu. „Wir halten fünf Minuten an der Terrasse
am Ölberg. Achten Sie auf Ihre Portemonnaies und Ihre Kameras. Wir sind auf
Arabisch bewohntem Gebiet.“
Ich halte diese Bemerkung für vollkommen überflüssig.
„Kannst Du nicht einmal Deine blöden Sticheleien sein lassen?“ raune ich ihm
aufgebracht zu. Er wischt meinen Einwand mit einer abwertenden Handbewegung
weg.
Die Sonne steht tief im Westen. Die Mauern der Stadt
schmiegen sich um den Hügel und werfen lange Schatten, die goldene Kuppel des
Felsendoms glitzert in Nachmittagslicht. Der Anblick ist von einer unwirklichen
Schönheit, mein kleines deutsches Grüppchen kann sich dieses Reizes auch nicht
erwehren. Die neun Reisenden stehen still und blicken fasziniert hinüber.
„Wir müssen weiter. Bitte einsteigen.“ rufe ich und bitte
Khalil, er möge doch über Rehavia, dem traditionellen Wohnviertel der Jecken, der deutschen Juden hier in Israel, ins Hotel fahren.
„Wieso das denn?“ fragt mich der Erzengel. „Das ist ein Umweg.“
„Ach“, sage ich leichthin. „ich möchte eigentlich schon noch
ein paar Worte zu Euch Jecken sagen.“
„Das Euch kannst Du Dir schenken. Ich bin kein Jecke.
Ich bin Israeli und sonst gar nichts.“ erwidert er aggressiv.
„Jecke hin oder her, jetzt geht es nach Rehavia .“
sage ich gut gelaunt und freue mich über seinen Zorn.
Wir fahren die Arlosorov -Strasse hinunter und biegen
in die Gaza-Road ab, dem Herzen von Rehavia. Die Häuser sind sehr
gepflegt, die Bäume in den Vorgärten gestutzt, die Bürgersteige sauber gefegt,
die Messingschilder mit den eingravierten Namen blank poliert.
„Im Jahre von Hitlers Machtergreifung gab es
fünfhunderttausend Juden in Deutschland. Das war etwa ein Prozent der
Bevölkerung. Ein Drittel wurde ermordet, der Rest konnte entkommen. Aber nur
jeder zehnte Jude aus Deutschland floh nach Palästina. Die allermeisten unter
ihnen zogen die Vereinigten Staaten vor, darunter auchdie sieben
jüdischen Nobelpreisträger Deutschlands und andere bekannte deutsche Juden wie
Kurt Weill, Leon Feuchtwanger und Hannah Arendt. Keiner ging nach Palästina,
aber alle gingen fort von Deutschland.“ Ich mache eine kleine Pause. „Sie
fragen sich weshalb, nicht wahr?“ Ich krame in meinem Rucksack nach meinen
Notizen und finde sie nicht. Jetzt muss ich halt improvisieren. Ich atme tief
durch und versuche mich zu konzentrieren.
„ Da gab es diesen Kerl namens Hitler in Deutschland, und
die Juden begannen auf einmal hierherzukommen. Diese spöttische Bemerkung
stammt von Ben Gurion.“ beginne ich.„Auch wenn die damaligen
Immigranten aus Deutschland und ihre Nachkommen größtenteils in Israel
geblieben sind, kamen die meisten doch in der Tat ganz gegen ihren Willen: als Flüchtlinge. Das waren keine Zionisten. Dementsprechend lagen sie von
Anfang an im Clinch mit den fundamentalen Werten der zionistischen Ideen.
„Hitler-Zionisten “ nannte man sie hier im Land abfällig.“
Ich werfe Raffael einen kurzen Seitenblick zu. Er
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