Der Mann aus Israel (German Edition)
der Beerdigung
die Kleider nicht wechseln dürfen, noch durften sie sich waschen oder rasieren.
Sieben Tage lang.“ Er nimmt meinen Arm und schiebt mich die Stiege in den
ersten Stock hinauf. „Na, eigentlich stimmt es nicht ganz, was ich Dir sage. Am
Schabbat wird das Trauern unterbrochen, um die Schabbes- Gebete nicht zu
versäumen. Und weil die in reinlichem Zustand abgehalten werden müssen, darf
der Trauernde am Schabbat ein Bad nehmen.“ Mit einer Hand kontrolliert er rasch
den Sitz seiner Kippa . „Du hättest ruhig ein Kleid anziehen können.“
„Aber ich ...“ Bevor ich weitersprechen kann, kneift er mich
in den Arm. „Psst.“
Eine Frau in einem dunklen Kostüm kommt aus einem der Zimmer
und geht vorsichtig und leise über den Gang.
„ Schalom, Yael.“ Als sie Raffaels Stimme hört, blickt
sie auf und sinkt ihm mit einem Seufzer in die Arme.
„ Schalom , Raffilein, mein Lieber. Wie schön, dass Du
gekommen bist.“ Er streichelt ihr sanft über den Rücken, während er
eindringlich auf sie einredet. Sie schluchzt verhalten und klammert sich an
seinen Armen fest. Ich verstehe nicht, was er sagt, er spricht sehr leise,
seine Stimme klingt beruhigend und melodiös. Ich habe sie nie so gehört. Schließlich
hört sie zu weinen auf. Er wiegt sie behutsam im Arm. Sie scheinen einander
sehr vertraut zu sein. Durch alte Wurzeln miteinander verbunden, denke ich
verstört. Beim Anblick dieser Heimatlichkeit beißt sich ein kaltes, trostloses
Gefühl der Fremdheit in mein Herz.
„Yael, das ist Elisabeth aus Deutschland. Tante Hedwigs
Tochter. Damit ist sie so etwas wie eine Cousine dritten Grades von uns. Sie ist
gerade bei meinem Vater zu Besuch.“ sagt Raffael einsilbig. Auf Deutsch. Er
schiebt mich Yael in die Arme, dreht sich um und verschwindet in einem der
Zimmer.
„Wie schön Dich kennenzulernen, Elisabeth, wenn auch der
Anlass traurig ist. Ich bin Yael, Idas Tochter.“ sagt sie sanft. Ihr Gesicht
schimmert durchsichtig wie eine Gemme. Wir sind etwa gleich alt, schätze ich.
„Mama war immer sehr bedrückt gewesen, dass Deine Mutter mit ihrer Familie
zurück nach Deutschland gegangen war. Aber Dein christlicher Vater, Elisabeth,
konnte sich nicht einfügen in die jüdische Welt. Vielleicht wollte er auch
nicht. Wer weiß das.“ Einfügen? Ich stutze. Was soll denn das bedeuten? So wie
ein Stück Blech, das zurechtgeschnitten, angepasst und an einen Ort eingefügt
wird, an dem es fugenlos zu passen hat? Ein untergeordneter, abgerichteter
Ackergaul, der auf leisen Sohlen und in stiller Dankbarkeit jüdische Felder
pflügt? In meinem Kopf dröhnt es, ich spüre, dass sich auf meiner Nase ein Schweißfilm
bildet. Schnell wische ich mir über das Gesicht.
„Komm` jetzt, meine Liebe.“ Yael führt mich in den
Trauerraum.
Er ist groß und düster. Es brennt kein Licht, die Vorhänge
sind geschlossen. Auch hier sind die Spiegel schwarz verkleidet. Es riecht nach
verbrauchter Luft und feuchten Kleidern. Anscheinend darf während der
Trauerwoche auch nicht gelüftet werden.
In dem geräumigen Salon stehen keine Möbel. Lediglich
einige Holzhocker, auf denen die Trauernden sitzen, in zwei, einander
gegenüberstehenden Reihen. Die Abdrücke von Schränken, Tischen und Stühlen sind
deutlich auf dem Parkettboden zu sehen. Ein leergeräumtes Trauerzimmer,
vermutlich auch das eine streng einzuhaltende Regel .
„ Schiwe- Besuch ist da. Elisabeth, Hedwig Saloschins
Tochter. Aus Deutschland.“ Fast unhörbar stellt mich Yael den Trauernden vor.
Ich schäme für die Lüge, fühle mich wie ein ertappter Brandstifter. Vor
Unsicherheit ziehe und zerre ich an meinen engen Hosen. Wenn ich nur wenigstens
ein Kleid anhätte. Die dunkelgewandeten Menschen, die im Dämmerlicht auf ihren
kleinen Stühlchen sitzen, alttestamentarische Gebetssprüche murmeln und dabei
mit dem Körper hin und her wackeln, erscheinen mir wie bizarre Gespenster aus
dem Schattenreich. Als sie meinen Namen hören, unterbrechen einige ihr
Gemurmel, heben zitternd die Köpfe und starren mich an. Ich blicke in die
wässrigen Augen alter Menschen. Ein kurzer interessierter Blick streift mich,
sie erkennen nichts an mir, keine Erinnerung belebt die Leere ihrer Augen, sie
wenden sich wieder dem Gebet zu. Es muss wohl das Kaddisch sein, das
Totengebet, das sie in gemeinsamem, leisem Singsang vortragen. Ich verstehe nichts,
denn der uralte Spruch wird immer in aramäisch rezitiert.
Yael schiebt mich auf einen der Hocker. Mein Herz
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