Der Mann Aus St. Petersburg: Roman
Gedanke. Er blickte nach oben.
Er sah ein Loch im Dach und Felix, der gerade hindurchkroch.
»Da ist er!« brüllte Waiden.
Alle sahen hilflos zu, wie Felix auf das Dach stieg und langsam hinaufkletterte.
Wenn ich eine Waffe hätte …
Waiden beugte sich über den bewußtlosen Sutton und nahm ihm die Pistole aus der Hand.
Felix kniete auf dem Dachfirst. Ich wünschte, es wäre ein Gewehr, dachte Waiden, als er die Waffe hob und zielte. Felix sah ihn an. Ihre Blicke trafen sich.
Felix bewegte sich.
Ein Schuß knallte.
Er fühlte nichts und begann zu rennen.
Es war wie auf einem Drahtseil. Er mußte die Arme seitlich ausstrecken, um sich im Gleichgewicht zu halten, er mußte die Füße vorsichtig auf den engen Grat setzen und versuchen, den Gedanken an einen Sturz in den Hof, der zwanzig Meter unter ihm lag, zu verdrängen.
Ein weiterer Schuß.
Felix geriet in Panik.
Er rannte so schnell er konnte. Das Ende des Daches war greifbar nahe. Er sah bereits das Dach des MontrealHauses vor sich, hatte jedoch keine Ahnung, wie weit der Zwischenraum zwischen den beiden Gebäuden war. Er zögerte, verlangsamte das Tempo, dann schoß Waiden wieder.
Felix raste dem Ende des Firstes zu.
Er sprang.
Er flog durch die Luft, hörte wie aus weiter Ferne den Schrei seiner eigenen Stimme.
Im Bruchteil einer Sekunde sah er drei Polizisten im Durchgang zwischen den beiden Häusern, zwanzig Meter unter sich, die mit offenem Mund zu ihm hinaufstarrten.
Dann landete er hart auf dem Dach des MontrealHauses, mit schmerzenden Händen und Knien.
Der Aufprall nahm ihm den Atem. Er rutschte rücklings das Dach hinunter. Seine Füße stießen an die Regenrinne, die unter dem Gewicht nachzugeben schien, und er sah sich bereits stürzen und endlos fallen – aber die Rinne hielt, und er rutschte nicht mehr.
Er hatte Angst.
Etwas in ihm protestierte: Aber ich habe doch nie Angst!
Er kletterte bis zum First empor und ließ sich dann langsam auf der anderen Seite hinuntergleiten.
Der hintere Teil des MontrealHauses grenzte an die Eisenbahnlinie. Auf den Gleisanlagen waren keine Polizisten zu sehen. Damit haben sie nicht gerechnet, stellte Felix erleichtert fest. Sie glaubten, mich im Hof in der Falle zu haben, und es ist ihnen nicht eingefallen, daß ich über die Dächer fliehen könnte.
Jetzt muß ich nur noch irgendwie hier herunterkommen.
Er blickte über die Rinne auf die Mauer des Gebäudes unter sich. Es gab keine Abflußrohre, denn die Rinnen leerten sich durch wasserspeierartige Ausgüsse an den Ecken des Dachs. Aber die Fenster des obersten Stocks waren nahe und hatten breite Simse.
Felix griff mit der Rechten die Regenrinne und rüttelte an ihr, um ihre Stärke zu erproben.
Seit wann macht es dir etwas aus, ob du lebst oder stirbst?
Du weißt genau, seit wann.
Er kroch über ein Fenster, packte die Rinne mit beiden Händen und ließ sich langsam vom Dach gleiten.
Einen Augenblick lang hing er frei in der Luft.
Dann fanden seine Füße den Fenstersims. Er löste die rechte Hand von der Rinne, tastete an der Mauer entlang, suchte nach einem Griff. Seine Finger fanden einen Hohlraum. Nun konnte er die Dachrinne vollends loslassen.
Er blickte durch die Scheibe. Drinnen saß ein Mann, der bei seinem Anblick erschrocken aufschrie.
Felix trat das Fenster ein und ließ sich ins Zimmer fallen. Er stieß den entsetzten Bewohner beiseite und rannte auf die Tür zu.
Auf der Treppe nahm er vier Stufen auf einmal. Falls er ins Erdgeschoß gelangte, konnte er durch das Hinterfenster die Bahnlinie erreichen.
Auf dem letzten Treppenabsatz blieb er stehen, atmete keuchend. Eine blaue Uniform erschien an der Eingangstür. Felix wirbelte herum und lief auf den hinteren Teil des Flurs zu. Er hob das Fenster an. Es klemmte. Er gab ihm einen kräftigen Stoß, so daß es aufflog. Er hörte Stiefelschritte auf den Treppenstufen. Hastig kletterte er über den Sims, wuchtete sich hinaus, ließ sich einen Augenblick an den Händen hängen und stieß sich dann von der Mauer ab. Er war draußen.
Er landete im hohen Gras des Bahndamms. Zu seiner Rechten sprangen zwei Männer über den Zaun des Baulagers. Links hinter ihm krachte ein Schuß. Ein Polizist erschien im Fenster, aus dem Felix gesprungen war.
Er rannte den Bahndamm hinauf.
Er sah vier oder fünf Schienenstränge. Aus der Ferne kam ein Zug rasch auf ihn zu. Er schien auf dem hintersten Gleis zu fahren. Einen Augenblick verspürte er Feigheit, hatte Angst, die Schienen vor dem
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