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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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war ihm, als renne er gegen eine Mauer an. Sollte er sich die Information erschleichen, sie zum Reden bringen, ohne daß sie wußte, was sie tat? Oder sollte er ihr eine Lügengeschichte erzählen, wie er es mit Lydia getan hatte? Oder ihr vielleicht geradeheraus sagen, daß er Orlow töten wolle? Immer wieder empfand er starke Hemmungen, solche Überlegungen zu Ende zu denken.
    Wenn er bedachte, was auf dem Spiel stand, fand er seine Skrupel allerdings lächerlich. Hatte er nicht die Chance, Millionen Menschenleben zu retten und möglicherweise sogar eine russische Revolution zum Ausbruch zu bringen? Was bedeutete es schon dagegen, ein Mädchen der herrschenden Klasse anzulügen: Er wollte ihr ja nichts zuleide tun – wollte sie nur benutzen, ihr Vertrauen mißbrauchen, das Vertrauen seiner eigenen Tochter, die er eben erst kennengelernt hatte.
    Um sich abzulenken, begann er, mit dem selbstgebastelten Dynamit eine primitive Bombe anzufertigen. Er stopfte die mit Nitroglyzerin durchtränkten Lumpen in eine alte Porzellanvase, die einen Sprung hatte. Jetzt kam es nur noch auf den Zünder an. Ein brennendes Stück Papier allein würde vielleicht nicht ausreichen. Er holte Streichhölzer und steckte etwa ein halbes Dutzend von ihnen so zwischen den Stoff, daß nur noch ihre hellroten Köpfe zu sehen waren. Es war schwierig, die Hölzchen aufrecht zu stellen, denn seine Hände bebten. Meine Hände zittern doch sonst nie, dachte er. Was ist bloß mit mir los? Er rollte ein Stück Zeitungspapier zu einem Fidibus zusammen und steckte ein Ende zwischen die Streichholzköpfe, die er dann mit einem Faden zusammenband. Selbst das Verknoten bereitete ihm große Schwierigkeiten.
    Er las die internationalen Nachrichten in der Times, kämpfte sich verbissen durch die verschrobenen englischen Sätze. Er war mehr oder weniger sicher, daß es zu einem Krieg kommen wurde, aber mehr oder weniger sicher zu sein, genügte jetzt nicht mehr. Er wäre glücklich gewesen, einen nutzlosen Müßiggänger wie Orlow umzubringen, selbst wenn er später hätte feststellen müssen, daß er seinen Zweck verfehlt hatte. Aber konnte er seine Beziehung zu Charlotte für nichts und wieder nichts zerstören?
    Beziehung? Was für eine Beziehung?
    Beim Lesen der Times bekam er Kopfschmerzen. Die Schrift war zu klein und sein Zimmer dunkel. Außerdem war diese Zeitung ekelhaft konservativ. Er hätte das Redaktionsgebäude am liebsten in die Luft gesprengt.
    Er sehnte sich danach, Charlotte wiederzusehen. Plötzlich hörte er draußen auf dem Treppenabsatz schleppende Schritte, und dann klopfte es an der Tür.
    »Herein«, rief er unachtsam.
    Der Hauswart trat hüstelnd ein. »Guten Morgen.«
    »Guten Morgen, Mr. Price.« Was will der blöde Alte schon wieder?
    »Was ist denn das?« fragte Price und wies auf die Bombe.
    »Eine selbstgemachte Kerze«, sagte Felix. »Sie brennt Monate. Was wollen Sie?«
    »Ich wollte Sie fragen, ob Sie vielleicht ein paar Laken brauchen. Ich kann Ihnen welche zu einem sehr billigen Preis besorgen …«
    »Nein, danke«, sagte Felix. »Auf Wiedersehen.«
    »Na, dann auf Wiedersehen.« Price ging hinaus.
    Ich hätte die Bombe verstecken sollen, warf Felix sich vor.

    »Ja, er ist auf seinem Zimmer«, sag Price zu Basil Thomson.
    Waiden fühlte eine unangenehme Leere in seinem Magen.
    Er befand sich auf dem Rücksitz eines Polizeiwagens, der an der Ecke der Canada Buildings parkte, ein paar Meter von dem Haus entfernt, in dem Felix sich aufhielt. Ein Inspektor der Sonderabteilung und ein uniformierter Polizeioffizier vom Revier in Southwark saßen neben ihm.
    Wenn sie Felix jetzt schnappen, ist Alex endlich in Sicherheit, dachte Waiden. Dann können wir alle aufatmen.
    Thomson erzählte: »Mr. Price kam aufs Polizeirevier und meldete, daß er ein Zimmer an einen verdächtig aussehenden Mann mit ausländischem Akzent vermietet habe, der über sehr wenig Geld verfüge und sich einen Bart wachsen lasse, so als wolle er sein Aussehen verändern. Er hat Felix auf unserer Zeichnung sofort erkannt. Gut gemacht, Price.«
    »Danke, Sir.«
    Der uniformierte Polizeioffizier entfaltete eine große Straßenkarte. Er war entsetzlich langsam und pedantisch.
    »Der Wohnblock Canada Buildings besteht aus drei fünfstöckigen Mietshäusern, die um einen Hof gruppiert sind. Jedes Gebäude hat drei Treppenaufgänge. Wenn Sie sich in den Hofeingang stellen, liegt das Toronto-Haus zu Ihrer Rechten. Felix ist im obersten Geschoß der mittleren Treppe.

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