Der Mann Aus St. Petersburg: Roman
Berichte der Abendausgabe der Pall Mall Gazette vertieft zu sein schien. Felix war in guter Stimmung, fast sogar fröhlich. Morgen früh würde er Charlotte wiedersehen. Er stellte sie sich zu Pferde vor, wie der Wind durch ihr Haar fuhr. Und sie würde mit ihm zusammenarbeiten. Sie würde ihm sagen, wo sich Orlows Zimmer befand und wo er sich zu den verschiedenen Tageszeiten aufhielt. Sie würde ihm dabei behilflich sein, eine Waffe zu finden.
Es war vor allem ihr Brief gewesen, der ihn so zuversichtlich stimmte. Sie war jetzt auf seiner Seite, was immer geschah. Aber …
Aber da gab es einen Punkt, der ihn unsicher machte. Er hatte ihr erzählt, daß er Orlow entführen wolle, und jedesmal, wenn er sich daran erinnerte, wurde ihm unbehaglich. Er versuchte, nicht mehr daran zu denken, aber der Gedanke war wie ein hartnäckiger Juckreiz, den man einfach nicht ignorieren konnte. Würde sie ihm Orlows Versteck zeigen? Er überlegte, was er tun könne. Vielleicht sollte ich ihr sagen, daß ich ihr Vater bin. Das wäre ein Schock für sie.
Einen Augenblick war er versucht, zu verschwinden und sie nie wiederzusehen.
Nein, entschied er, es geht nicht um ihr Schicksal und auch nicht um meines.
Wie wird überhaupt mein Schicksal aussehen, wenn ich Orlow getötet habe? Werde ich sterben? Er schüttelte den Kopf, als wollte er diesen Gedanken wie eine Fliege verscheuchen. Jetzt ist nicht die Zeit für trübselige Gedanken.
Ich muß alles genau planen.
Wie werde ich Orlow töten? Es gibt bestimmt Waffen im Landhaus des Grafen. Charlotte wird mir sagen, wo sie sind, oder mir eine beschaffen. Und falls das nicht möglich ist, finde ich genügend Messer in der Küche. Und schließlich habe ich auch noch meine Hände.
Er spannte die Finger.
Werde ich ins Haus gehen müssen, oder wird Orlow herauskommen? Soll ich es am Tage oder in der Nacht tun? Soll ich auch Waiden töten? In politischer Hinsicht wäre sein Tod bedeutungslos, aber ich möchte es trotzdem tun. Aus persönlichen Gründen. Er sah Waiden wieder vor sich, wie er die Flasche auffing. Unterschätze diesen Mann nicht, dachte er.
Ich muß dafür sorgen, daß Charlotte ein Alibi hat -niemand darf erfahren, daß sie mir behilflich war.
Der Zug verlangsamte das Tempo und hielt an einem kleinen Landbahnhof. Felix versuchte, sich an die Karte zu erinnern, die er sich im Bahnhof an der Liverpool Street angesehen hatte. Waidenhall mußte der vierte Halt sein.
Sein Reisegefährte hatte endlich die Pall Mall Gazette ausgelesen und auf den Sitz neben sich gelegt. Felix wußte, daß er den Mord erst planen konnte, wenn er die örtliche Lage ausgekundschaftet hatte. Er wandte sich an den Mann: »Darf ich Ihre Zeitung lesen?«
Der Mann schien verblüfft. Ach ja, in England ist es nicht Sitte, mit Unbekannten im Zug zu sprechen, durchfuhr es Felix. »Bitte sehr«, sagte der Mann.
Felix nahm die Zeitung. »Vielen Dank.«
Er warf einen Blick auf die Schlagzeilen. Sein Gefährte starrte aus dem Fenster, schien verlegen zu sein. Er hat die Wangen voller Haare, wie es zu meiner Jugend Mode gewesen ist, dachte Felix und versuchte, sich an das englische Wort zu erinnern . Backenbart, ja, das war es.
Backenbart?
Möchten Sie Ihr Zimmer wiederhaben? Ich habe es an einen anderen Burschen vermietet, aber den werfe ich bald hinaus – er hat einen Backenbart, und Backenbärte habe ich nie gemocht.
Und jetzt erinnerte sich Felix, daß dieser Mann in der Schlange vor dem Billettschalter direkt hinter ihm gestanden hatte.
Blitzartig fühlte er sich in höchste Alarmbereitschaft versetzt.
Er hielt sich die Zeitung vor das Gesicht, um seine Betroffenheit zu verbergen, und zwang sich, ruhig und klar zu denken. Bridget mußte irgend etwas gesagt haben, was die Polizei genügend verdächtig fand, um ihr Haus unter Bewachung zu halten. Und dann hatten sie einen Detektiv als Untermieter in Felix’ Zimmer geschickt. Der hatte Felix erkannt und war ihm bis zum Bahnhof gefolgt. Da er direkt hinter Felix stand, hatte er mitbekommen, daß er eine Fahrkarte nach Waidenhall verlangte, und hatte dann ebenfalls eine Karte dorthin gelöst. Schließlich war er mit Felix in den Zug gestiegen.
Nein, ganz so kann es nicht gewesen sein. Felix hatte etwa zehn Minuten im Zug gesessen, bevor er abfuhr. Der Mann mit dem Backenbart war aber erst im letzten Augenblick in den Wagen gesprungen. Was hatte er in der Zwischenzeit getan? Wahrscheinlich telefoniert.
Felix stellte sich das Gespräch vor. Der
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