Der Mann Aus St. Petersburg: Roman
Meinung nach nicht genug. Wir brauchen eine Armee.«
»Morgen früh werden wir eine haben«, antwortete Sir Arthur. »Wir werden die ganze Gegend durchkämmen. Die Suchaktion beginnt um neun Uhr.«
»Warum nicht beim Morgengrauen?«
»Weil die Armee erst zusammengetrommelt werden muß. Wir erwarten hundertfünfzig Mann aus allen Teilen der Grafschaft. Die meisten von ihnen sind jetzt im Bett -sie müssen benachrichtigt werden und ihre Instruktionen erhalten. Und sie müssen hierhergebracht werden.«
Mrs. Braithwaite kam mit einem Tablett herein. Es gab kalte Wildpastete, ein halbes Huhn, eine Schüssel Kartoffelsalat, Brötchen, kalte Wurst, Tomatenscheiben, Cheddar-Käse, mehrere Arten von Chutney-Soßen und Obst. Ein Lakai folgte ihr mit einer Flasche Wein, einem Krug Milch, einer Kanne Kaffee, einer Portion Speiseeis, einer Apfeltorte und einem halben Schokoladenkuchen. Der Lakai sagte: »Der Burgunder hatte leider keine Zeit zum Atmen, Eure Lordschaft – soll ich ihn in eine Karaffe umfüllen?«
»Ja, bitte.«
Der Lakai machte sich an einem kleinen Tisch zu schaffen. Waiden hatte Hunger, war aber zu nervös, um essen zu können. Wahrscheinlich werde ich auch nicht schlafen können, dachte er.
Alex goß sich noch einen Cognac ein. Er trinkt ständig, stellte Waiden fest. Er bewegt sich wie ein Automat, scheint sich streng unter Kontrolle zu halten.
»Wo ist Charlotte?« fragte Waiden plötzlich.
Alex antwortete: »Sie ist zu Bett gegangen.«
»Sie darf auf keinen Fall das Haus verlassen, bevor diese Angelegenheit erledigt ist.«
Mrs. Braithwaite fragte: »Soll ich es ihr sagen, Eure Lordschaft?«
»Nein, wecken Sie sie nicht auf. Ich sehe sie ja beim Frühstück.« Waiden nahm einen Schluck Wein, erhoffte sich ein wenig Entspannung davon. »Wir könnten dich inzwischen anderswo unterbringen, Alex, falls dir das lieber ist.«
Alex lächelte resigniert. »Ich glaube kaum, daß das viel Sinn hätte. Felix findet mich überall. Am besten halte ich mich in meinem Zimmer versteckt, unterschreibe den Vertrag sobald wie möglich und fahre dann nach Hause.«
Waiden nickte. Die Diener entfernten sich. Sir Arthur sagte: »Ach, Stephen … da ist noch etwas.« Er schien verlegen. »Wir müssen uns überlegen, wie Felix plötzlich dazu kam, den Zug nach Waidenhall zu nehmen.«
Bei all der Panik war Waiden das noch gar nicht aufgefallen. »Ja, natürlich … wie in Gottes Namen hat er das herausgefunden?«
»Soweit mir bekannt ist, wußten nur zwei Gruppen von Leuten, wo Orlow sich befindet. Die eine ist das Personal der Gesandtschaft, denn von dort sind ja die Telegramme hierhergeschickt worden. Die andere sind deine Leute hier.«
»Ein Verräter in meiner Dienerschaft?«
Waiden schauderte bei dem Gedanken.
»Ja«, sagte Sir Arthur zögernd. »Oder … was natürlich auch nicht auszuschließen ist … in der Familie.«
Lydias Dinner war eine Katastrophe. In Abwesenheit Stephens mußte sein Bruder George den Platz des Gastgebers einnehmen, was eine ungerade Zahl ergab und die ganze Sitzordnung durcheinanderbrachte. Schlimmer noch, Lydia war so verstört, daß sie kaum zu einer höflichen Konversation fähig war, geschweige zu einer glanzvollen. Alle, außer den wirklich teilnahmsvollen Gästen, erkundigten sich nach Charlotte, obgleich sie genau wußten, daß sie in Ungnade gefallen war. Lydia antwortete nur, sie sei für ein paar Tage aufs Land gefahren, um sich auszuruhen. Sie sprach ganz mechanisch, wußte kaum, was sie sagte. Sie hatte den Kopf voller Alpträume: Felix verhaftet, Stephen erschossen, Felix zusammengeschlagen, Stephen verblutend, Felix auf der Flucht, Stephen im Sterben. Wie gerne hätte sie jemandem ihre Gefühle anvertraut, aber mit ihren Gästen konnte sie nur über den gestrigen Ball sprechen, über die Aussichten für die Regatta von Cowes, die Lage auf dem Balkan und das Budget Lloyd Georges.
Zum Glück blieben sie nicht lange nach dem Essen. Sie gingen auf einen Ball, in Konzerte oder zu anderen Veranstaltungen. Kaum hatte der letzte das Haus verlassen, da eilte Lydia in die Halle und griff zum Telefon. Mit Stephen konnte sie nicht sprechen, denn Waiden Hall hatte noch keinen Anschluß, und so rief sie bei Winston Churchill in Eccleston Square an. Er war ausgegangen. Sie versuchte es bei der Admiralität, in der Downing Street, im Liberalen Club, aber vergeblich. Sie mußte unbedingt wissen, was geschehen war. Schließlich fiel ihr Basil Thomson ein, und sie ließ sich mit
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