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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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nahm Charlotte beiseite, führte sie von den jungen Männern fort. »Ich habe entdeckt, wie sie herauskommen.«
    »Wer?«
    »Die Babys.«
    »Oh!« Charlotte war sehr neugierig. »Erzähle.«
    Belinda senkte die Stimme. »Sie kommen zwischen den Beinen heraus, wo man Wasser läßt.«
    »Aber das ist doch viel zu eng!«
    »Es weitet sich.«
    Wie schrecklich, dachte Charlotte.
    »Aber das ist noch nicht alles«, fuhr Belinda fort. »Ich habe auch herausgefunden, wie man sie macht.«
    »Wie?«
    Belinda faßte Charlotte am Ellbogen, und sie gingen in die hinterste Ecke des Zimmers. Sie standen vor einem mit Rosengirlanden behangenen Spiegel. Belindas Stimme war nur noch ein Flüstern. »Du weißt doch, daß du mit deinem Mann ins Bett gehen mußt, wenn du verheiratet bist.«
    »Bist du sicher?«
    »Ja.«
    »Papa und Mama haben getrennte Schlafzimmer.«
    »Haben sie nicht eine Verbindungstür?«
    »Ja.«
    »Auf diese Weise können Sie sich ins gleiche Bett legen.«
    »Warum?«
    »Das werde ich dir sagen. Um ein Baby zu bekommen, muß der Mann seinen Penis in die Öffnung stecken – aus der die Babys später herauskommen.«
    »Was ist ein Penis?«
    »Nicht so laut! Das ist ein Ding, das die Männer zwischen den Beinen haben – hast du denn noch nie ein Bild von Michelangelos David gesehen?«
    »Nein.«
    »Nun, es ist ein Ding, mit dem sie Wasser lassen. Sieht wie ein Finger aus.«
    »Und das muß man tun, um Kinder zu kriegen?«
    »Ja.«
    »Und alle verheirateten Leute müssen es tun?«
    »Ja.«
    »Wie entsetzlich. Wer hat dir das alles erzählt?«
    »Viola Pontadarvy. Sie schwört, daß es wahr ist.«
    Und irgendwie wußte Charlotte, daß es wirklich der Wahrheit entsprach. Als sie es hörte, war es ihr, als erinnere man sie an etwas, das sie vergessen hatte. Es schien unerklärlicherweise einen Sinn zu ergeben. Und doch traf es sie wie ein Schlag. Es war das gleiche unheimliche Gefühl, das einen manchmal im Traum befällt, wenn ein schrecklicher Verdacht sich als berechtigt erweist, oder wenn man Angst hat, zu fallen, und dann plötzlich feststellt, daß man wirklich fällt.
    »Ich bin jedenfalls froh, daß du es herausgefunden hast«, sagte sie. »Wenn man sich verheiratet, ohne es zu wissen … wäre das furchtbar peinlich.«
    »Bei manchen Mädchen scheint dies der Fall zu sein«, sagte Belinda. »Eigentlich sollte deine Mutter dir das alles am Abend vor der Hochzeit erklären, aber wenn deine Mutter zu schüchtern ist, weißt du es eben erst . wenn es passiert.«
    »Dem Himmel sei Dank für Viola Pontadarvy.« Plötzlich kam Charlotte ein Gedanke. »Hat das etwas mit dem . Bluten zu tun, das man jeden Monat hat?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Ich nehme es aber an. Es hängt alles zusammen – all die Dinge, über die man nicht spricht. Nun ja, jetzt wissen wir wenigstens, warum man nicht darüber spricht – es ist so ekelhaft.«
    »Das, was du im Bett machen mußt, nennt man Geschlechtsverkehr, aber Viola sagt, daß es noch gemeinere Ausdrücke dafür gibt.«
    »Sie weiß eine Menge.«
    »Sie hat Brüder. Die haben es ihr vor Jahren erzählt.«
    »Und woher wußten die es?«
    »Von älteren Jungen auf der Schule. Jungen interessieren sich sehr für solche Sachen.« »Nun ja«, sagte Charlotte. »Irgendwie ist es auch auf eine schreckliche Art faszinierend.«
    Plötzlich sah sie Tante Clarissa im Spiegel.
    »Was heckt ihr beiden in eurer dunklen Ecke aus?« fragte sie. Charlotte errötete, aber Tante Clarissa schien keine Antwort zu erwarten, denn sie fuhr fort: »Bewege dich ein bißchen und sprich mit den Leuten, Belinda – es ist schließlich deine Party.«
    Sie entfernte sich, und die beiden Mädchen gingen durch die Empfangszimmer. Die Räume lagen kreisförmig aneinander, so daß man in jeder Richtung wieder an den Ausgangspunkt zurückkam. Charlotte sagte: »Ich glaube nicht, daß ich mich je dazu überwinden könnte.«
    »Wirklich nicht?« Belinda lächelte seltsam.
    »Was willst du damit sagen?«
    »Ich weiß nicht. Ich habe darüber nachgedacht. Es könnte eigentlich ganz nett sein.«
    Charlotte starrte sie an.
    Belinda wurde verlegen. »Ich muß wieder tanzen gehen«, sagte sie. »Wir sehen uns später.«
    Sie ging die Treppe hinunter. Charlotte blickte ihr nach und fragte sich, was das Leben sonst noch für schreckliche Geheimnisse verbarg.
    Sie kehrte in den Speisesaal zurück und holte sich ein weiteres Glas Champagner. Auf welch seltsame Art sich doch die Menschheit verewigt, sinnierte sie.

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