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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Al Shaw
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wäre? Das habe ich damit gemeint, als ich gesagt habe, ich will mit mir selbst ins Reine kommen. Mit dem, was ich wirklich bin. Ein paarmal habe ich es schon geschafft, genug Mut aufzubringen, aber irgendwas hat mich jedes Mal wieder zurückgeholt. So wie du, neulich an der Windmühle.«
    »Ich?«
    »Ja. Du hast mich gebeten zu warten.«
    Das traf sie völlig unerwartet. Elsa erinnerte sich daran, wie sehr sie sich gewünscht hatte, dass er blieb, aber das hatte sie auf ihre Angst geschoben. Sie hätte niemals gedacht, dass er ihretwegen geblieben war.
    Eine Weile saßen sie schweigend da. Die Papiervögel drehten unermüdlich ihre Runden. Die Tür stand noch immer offen und der Wind wehte plötzlich den Duft blühender Heide herein. Finn schien es mit dem Weitererzählen nicht eilig zu haben. Wahrscheinlich machte einem Stille irgendwann nichts mehr aus, wenn man so lange allein gelebt hatte, in einer Steinkate mitten in den Bergen.
    »Manchmal«, sagte Elsa zögernd, »fühle ich Dinge, die ich nicht einordnen kann. Ich bin nicht, ähm, aus Wetter gemacht, aber ich … ich empfinde auch Dinge, die ich nicht verstehe, Gefühle, für die es im Wörterbuch kein Wort gibt. Manchmal machen sie mir Angst, wenn ich ehrlich bin, und … na ja, ich will ja nicht behaupten, dass es dasselbe ist wie das, was du gerade beschrieben hast … Ich glaube, ich will einfach sagen, dass du dich damit vielleicht gar nicht so allein fühlen musst.« Sie kratzte sich an der Wange. Es war eine zwanghafte Geste, um ihren Händen – die sich plötzlich flattrig anfühlten – etwas zu tun zu geben. Hastig blickte sie sich in der Kate um. Sie war es nicht gewohnt, mit Fremden über ihre Gefühle zu reden. Eigentlich war sie es noch nicht mal gewohnt, überhaupt so mit jemandem zu reden.
    »Willst du damit sagen, dass du dich manchmal genauso fühlst?«
    Ein knappes Nicken. Sie zwang sich zu einem Lachen. »Wow, für zwei Leute, die sich kaum kennen, ist unsere Unterhaltung aber ganz schön ernst geworden, was?«
    Wieder betrachtete er sie mit diesem direkten, durchdringenden Blick, der in jeder Bar, jedem Café, jedem U-Bahn-Wagen mehr als unangemessen gewesen wäre. Verdammt, noch nicht einmal Peter hatte sie so angesehen, als könnte er tief in sie hineinblicken, als wäre sie so substanzlos wie das, in was sich Finn verwandelt hatte.
    »Du bist anders als die Leute in Thunderstown«, bemerkte er.
    Sie zuckte mit den Schultern, noch immer verlegen. »Die Welt ist groß.«
    »Danke, dass du mir das erzählt hast.«
    Und plötzlich sprach sie weiter: »Diese Gefühle haben gerade erst angefangen. Aus heiterem Himmel. Mein Dad ist gestorben und mein Leben ist vollkommen aus den Fugen geraten. Oder auch in die Fugen, ich weiß es nicht. Er hatte immer eine Satellitenaufnahme von einem Hurrikan an der Wand hängen. Die habe ich nach seinem Tod wiedergefunden, als ich seine Sachen durchgegangen bin. Ein kleines leeres Auge mitten in einem riesigen Wirbel von Chaos. Genau das da, dachte ich, bin ich. Und ich hatte Angst, dass, wenn sich der Wirbel eines Tages legen würde, nichts mehr übrig wäre als diese Leere in der Mitte.« Sie brach ab, genauso abrupt, wie sie angefangen hatte zu reden. Sie war überrascht, dass sie so viel von sich preisgegeben hatte.
    Wie ein Richter, der den Saal zur Ordnung rief, schlug sie mit der Faust auf den Tisch. »Das ist doch verrückt!«, rief sie mit schriller Stimme. »Was reden wir denn hier? Das ist unmöglich! Du bist nicht aus Wetter gemacht! Das kann nicht sein!«
    Er blickte sie bestürzt an. »Aber du hast es doch selbst gesehen.«
    »Das muss irgendein Trick gewesen sein. Einer, der jetzt wirklich nicht mehr lustig ist. Du musst mir sagen, wie du das gemacht hast. Sag mir, was du mit mir gemacht hast!«
    Er wirkte verletzt. »Ich habe gar nichts mit dir gemacht. Ich wusste noch nicht mal, dass du da warst, bevor du mich gebeten hast zu bleiben.«
    Elsa stand auf und zog ihr Oberteil zurecht. »Hör zu«, erklärte sie, »das hier geht jetzt wirklich zu weit. Sag mir, was da draußen wirklich passiert ist, und ich lasse dich in Ruhe.«
    Mit finsterem Blick stand Finn auf und ging zum Spülbecken. Dort trocknete etwas Besteck in einem Gestell in der Sonne. Er griff nach einem Messer und wirbelte wieder zu ihr herum, die Klinge erhoben.
    Entsetzt wich Elsa zurück in Richtung Tür.
    Dann senkte er die Messerspitze und stach sich damit in den Zeigefinger. Er warf das Messer zur Seite und hob die Hand.

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