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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Al Shaw
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sehr klug. Trotzdem, ich werde mit ihr reden müssen.« Er fuhr sich mit den Fingern durch den Bart. »Ja. Ich werde sie warnen, dass sie das nicht in der ganzen Stadt rumtratschen soll.«
    Finn runzelte die Stirn. »Sie wird nichts rumtratschen.«
    Daniel biss sich auf die Lippe. Finns erwartungsvoller Blick war ihm wieder eingefallen, als er ihm die Tür geöffnet hatte. »Du scheinst sie ja ziemlich gut zu kennen. Du hast gehofft, sie wäre es, als ich heute gekommen bin, stimmt’s?«
    »Und wenn schon.«
    Im nächsten Moment war Daniel sämtliches Blut in den Kopf geschossen. Er griff Halt suchend nach der Tischkante. »Und wenn schon? Denk doch verdammt noch mal an das, was du deiner Mutter angetan hast!«
    Finn sackte auf seinem Stuhl zusammen.
    Daniel stand auf und atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Mit abgehackten Bewegungen wischte er sich die Krümel von den Händen. »Ich werde mich sofort darum kümmern.« Er nahm seinen breitkrempigen Hut von dem Haken, an den er ihn gehängt hatte. »Wiedersehen, Finn.«
    Doch während er bergab in Richtung Thunderstown stapfte, wurde Daniel klar, dass er Elsa Beletti auf eigenartige Weise dankbar war. Er versuchte sich einzureden, dass sie ein willkommener Anlass gewesen war, seinen Besuch bei Finn abzukürzen, denn der eigentliche Grund verwirrte ihn. Manchmal schienen seine Gedanken Gefühle oder Meinungen hervorzubringen, die ihm gar nicht vorkamen wie seine eigenen, so, als stammten sie aus einem anderen Bewusstsein und wollten sich in sein eigenes schlängeln wie eine fremde Melodie. Und eine solche ungewollte Empfindung hatte er soeben im Keim erstickt: Er hatte sich darüber gefreut, dass Finn jemanden gefunden hatte, der ihn zum Lächeln brachte, denn wenn er lächelte, verzogen seine Lippen sich in einem Winkel, der ihn an Betty erinnerte.

Der Feierabend schien in Elsas Büro so langsam näher zu rücken wie Weihnachten für ein ungeduldiges Kind. Als es endlich so weit war, eilte sie sofort durch die verwinkelten Straßen bis in die Candle Street und schlug dann den Pfad ein, der aus der Stadt hinausführte. Von dort aus war sie schon bald auf dem Weg zum Old Colp, hinauf zu Finns Kate. Während des Gehens umschwirrten sie winzige gelbe Vögel in Zweier- und Dreiergrüppchen, die die warme Abendsonne zu genießen schienen. Der Himmel schimmerte in trägem Blau, nur im Osten hingen ein paar verstreute Kumuluswolken und hoch über ihrem Kopf ein sich langsam auflösender Kondensstreifen von einem Flugzeug. »Hi«, sagte sie, als Finn die Tür öffnete. »Ich bin’s schon wieder.« Er trug ein fadenscheiniges, ärmelloses Oberteil zu einem Paar Shorts, das schon bessere Tage gesehen hatte, und seine gewohnt ramponierten Schuhe mit den aufgerissenen Kappen. »Du bist nicht leicht loszuwerden, was, Elsa?«
    Sie lachte nervös. »Ich war nicht ganz zufrieden mit dem Ende unserer letzten Begegnung. Ich dachte, ich komme noch mal her, um mich zu entschuldigen. Dafür, dass ich, na ja, ein bisschen ausgerastet bin.«
    Er lächelte verzagt. »Tja, das war wohl zu erwarten. Wenn ich’s mir recht überlege, ist es schon ziemlich erstaunlich, dass du überhaupt so lange geblieben bist.«
    »Ich wünschte, ich wäre noch ein bisschen länger geblieben.«
    »Wahrscheinlich war es ganz gut, dass du gegangen bist. Versteh mich nicht falsch, aber du solltest lieber nicht mehr hier raufkommen. Nicht weil ich dich nicht mag – ich würde dich wirklich gern ein bisschen besser kennenlernen –, aber … es ist gefährlich.«
    Elsa wollte nicht gleich wieder fortgeschickt werden. »Ach komm, wenn wir uns ein bisschen unterhalten, kann das ja wohl kaum gefährlich werden, oder?«
    Er seufzte und legte eine Hand auf seine Brust. »Die Gefahr ist hier drin.«
    Sie lachte. »Was sollte das denn für eine Bedrohung sein?«
    Verlegen vergrub Finn die Hände in den Hosentaschen. Eine von ihnen hatte ein Loch, durch das sein Zeigefinger hervorlugte. »Ich habe etwas gemacht, nachdem du hier warst. Das würde ich dir gern geben. Willst du nicht reinkommen?«
    »Sehr gern.«
    Er wandte sich um und sie folgte ihm in die Kate.
    Er hatte noch mehr Papierfiguren gefaltet, seit sie das letzte Mal hier gewesen war. Vögel stapelten sich auf dem Tisch zu einem Haufen aus weißen Flügeln und Schwänzen. Jeder einzelne, erkannte Elsa nun, war ein kleines Meisterwerk, zierlicher und fantasievoller als jedes Origami-Tier, das sie je zu Gesicht bekommen hatte, doch Finn wühlte zwischen

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