Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
eine innere Kraft aus, wie ich sie selten vorher bei einem Menschen gefühlt hatte – ich war schon immer empfänglich für derlei Schwingungen.
Man muss sich die Erwartungshaltung vorstellen, die man entwi ckelt, wenn es darum geht, einen Menschen kennenzulernen, für dessen Dienste man 52.000 Mark im Monat zu bezahlen hat. Ohne mir dessen bewusst zu sein, war ich in der Stimmung, mich aus diesem mündlichen Vertrag schnurstracks herauszuwinden und Vergleichsangebote einzuholen, wenn mich dieser sogenannte beste Mann nicht auf Anhieb überzeugen sollte, und zwar als Persönlichkeit wie auch als Fachkraft – um noch deutlicher zu werden: Er musste sich anhand des Auftretens messen lassen, mit dem der Erpresser uns eingeschüchtert hatte, er musste sich ihm auf den ersten Blick als überlegen erweisen. Ich rechnete damit, dass er diesen Eindruck zu erreichen versuchen würde, indem er offen oder versteckt mit seinen Fähigkeiten und der Kompetenz seiner Firma prahlte.
Was mich überzeugte, war seine Art, es gerade darauf nicht anz ulegen, im Gegenteil. Er war dazu gestoßen, als ich mich am Rolltor zur Straße mit Sasse, Gold und Friedrich über deren Ergebnisse ihrer Geländebegehung austauschte, die darin bestanden hatte, dem Heckenzaun ein paar hundert Meter zu folgen und mir dann einen Subunternehmer ans Herz zu legen, der alle nötigen Maßnahmen ergreifen werde. Als ich darauf drängte, mir wenigstens eine ungefähre Summe zu nennen, die mich dieser Ausbau kosten werde, ließ sich Sasse immerhin die Einschätzung entlocken, ich müsse irgendwo im mittleren sechsstelligen Bereich ansetzen.
Rogalla, gleichgültig gegenüber den Folgen, seiner Firma ein b eachtliches Geschäft zu verderben, ging mit dem Vorschlag dazwischen, doch lieber, wenn überhaupt, einen engen Sicherungsbereich direkt um das Haus zu ziehen, sprich, einen zweiten Zaun oder eine Mauer zu errichten, die für einen Bruchteil einer Gesamtgeländeabsicherung mit Alarmvorrichtungen zu bestücken wäre. Sasse hätte gern dagegen geredet, wie man seinem Gesicht ansah, aber er hatte freilich nicht die Argumente, dieser Logik zu widersprechen. Die Herren verabschiedeten sich, und ich stieg mit Rogalla in dessen bereits etwas klapprigen Suzuki-Jeep.
„Tut mir leid wegen Ihres Urlaubs“, sagte ich, als wir allein w aren.
„Halb so wild. Der stornierte U rlaub gehört zur Show.“
„Ich verstehe nicht recht...“
„Sie werden viel Geld für etwas bezahlen, das im besten Fall darin besteht, dass Ihr Leben einfach so weitergeht wie vorher. Sasse hat es drauf, Ihnen das so zu verkaufen, dass Sie keine Mark bereuen, verstehen Sie? Er verkauft good feelings.“
„Sagen Sie mal, sind Sie sicher, dass Sie für Sasse arbeiten?“
„Keine Sorge, Sie müssen tatsächlich keine Mark bereuen. Ich bin nur der Meinung, man sollte den Leuten das verkaufen, w ofür sie bezahlen. Und jetzt kann ich es Ihnen leider nicht ersparen, auch mir Ihre ganze Story noch mal zu erzählen.“
Statt langem Gerede zeigte ich ihm lieber unsere ehemalige Hau stür, die ich von der Türenfirma in einem Nebenraum der Garage als makabres Andenken hatte einlagern lassen.
„Haben Sie Stäbchen im Haus?“, fragte Rogalla, nachdem er das ze rfetzte Holz ausgiebig studiert hatte.
„Stäbchen?“
„Ja, chinesische Essstäbchen und eine Sperrholzplatte. Ich will Ihnen was zeigen.“
Ich fand tatsächlich ein ganzes Bündel bunt bemalter und mit ch inesischen Schriftzeichen verzierter Plastik-Essstäbchen in einer Küchenschublade. Mit einer Sperrholzplatte konnte ich nicht dienen.
„Kein Problem“, meinte Rogalla und drehte kurzerhand einen der Di elenschränke von der Wand in den Raum. Die Rückwand war aus dünnem, elastischem, aber hartem und zähem Pressspan. Er zählte vom Schrank aus zehn Schritte Richtung Treppe, nahm eines der Stäbchen zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger wie man einen Stift hält, schloss die Augen, machte drei kontrollierte Atemzüge, öffnete die Augen, holte aus – und warf das Stäbchen wie einen Speer gegen den Schrank. Das stumpfe Plastik durchschlug die Rückwand, drang etwa zehn Zentimeter ein und blieb parallel zum Dielenboden stecken. Mir stand der Mund offen.
„Genauso... Ach du Scheiße, also wirklich genauso...“, stamme lte ich.
„Ich weiß“, sagte er und grinste. „Wissen Sie, wie lange ich g ebraucht habe, bis ich das so drauf hatte, dass es wirklich mit jedem Wurf klappt?“
Ich zog das Stäbchen aus dem
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