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Der Mann, der niemals lebte

Titel: Der Mann, der niemals lebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ignatius David
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Stimmen, die vermutlich aus dem Büro des Hauptmanns kamen. Von den Abgasen, die er während der Fahrt zwangsläufig eingeatmet hatte, tat ihm der Kopf weh, und seine Beinmuskeln schmerzten von der verkrümmten Haltung, die er nun schon so lange einnehmen musste. Angefangen hatte es mit einem Kribbeln wie von tausend kleinen Stecknadeln, das inzwischen in immer heftigere Muskel- und Gelenkkrämpfe übergegangen war. Ferris ertappte sich bei dem Gedanken, dass er alles, selbst eine Gefangennahme, in Kauf nehmen würde, wenn nur diese Schmerzen aufhörten, aber gleichzeitig war ihm klar, dass das, verglichen mit den Schmerzen, die ihm vermutlich noch bevorstanden, das reinste Kinderspiel war.
    Ferris wartete. Eine halbe Stunde verging, vielleicht auch eine Stunde. In seiner dunklen Kammer hatte er jedes Zeitgefühl verloren. Da der Motor abgestellt war, lief auch die Heizung nicht mehr im Auto, und die Januarnacht war bitterkalt. Er konnte sich nicht bewegen, um sich aufzuwärmen, und die Kälte kroch ihm bis in die Knochen. Ferris wollte sterben, doch er wollte noch viel mehr, dass Alice am Leben blieb. Er tastete nach dem Gift, dann fiel ihm wieder ein, dass er es ja weggeschoben hatte, in den hintersten Winkel seines winzigen Verlieses. Er war froh darüber, diese Versuchung los zu sein.
    Dann hörte er wieder lautes Gebrüll – es schien die Stimme des Hauptmanns zu sein – und gleich darauf die unterwürfige Stimme des Taxifahrers und schwere Schritte, die sich dem Wagen näherten. Der Fahrer musste ihn verraten haben, so kleinlaut, wie er klang. Abu Walid hatte ihm wohl doch nicht aus der Klemme geholfen, und im grellen Licht des Verhörzimmers hatte er sich entschlossen, seinen Passagier zu opfern, um selbst sein Leben als Schmuggler weiterführen zu können. Die Schritte kamen immer näher, die metallbeschlagenen Stiefelabsätze donnerten auf dem Pflaster, bis sie schließlich vor dem Wagen zum Stehen kamen. Eine Tür wurde geöffnet. Es musste die hintere Tür sein. Gleich würden sie Ferris aus seinem Versteck hervorzerren, und alles wäre vorbei.
    Aber anscheinend hatte der Fahrer doch die vordere Tür geöffnet, denn jetzt dankte er dem Hauptmann in schmeichlerischem Ton, erklärte, Abu Walid werde dem Herrn Hauptmann für seine Hilfe ganz ausnehmend dankbar sein, und Gott möge dem Herrn Hauptmann ein langes Leben bei bester Gesundheit schenken, und auch den Söhnen des Herrn Hauptmann, auch ihnen ein langes Leben, jawohl, Herr Hauptmann, Gott sei gepriesen. Die Tür wurde zugeschlagen, der Motor angelassen. Dann rief der Fahrer dem Hauptmann noch einen letzten, unterwürfigen Abschiedsgruß zu und fuhr los.
    Sie hielten noch einmal beim Zoll, doch dort fand nur eine ganz oberflächliche Durchsuchung statt. Als der Kofferraum geöffnet wurde, bekam Ferris es mit der Angst zu tun, doch kurze Zeit später klappte der Deckel schon wieder herunter. Ein Zöllner bedankte sich bei dem Fahrer für die Zigaretten, und dann setzte sich das Taxi wieder in Bewegung.
    Der Wagen holperte noch eine ganze Weile weiter durch die engen Gassen von Deraa und beschleunigte dann, als er wieder auf die Hauptstraße einbog. Ferris hörte den Fahrtwind, wenn der Mercedes auswich, um andere Autos oder Lastwagen vorbeizulassen. Er befürchtete schon, der Fahrer werde ihn den ganzen Weg bis nach Hama in seinem Versteck liegen lassen, doch schließlich wurde der Wagen langsamer und bog nach rechts ab. Unter sich hörte Ferris Kies knirschen. Das Taxi war auf den Seitenstreifen gefahren und blieb dann mit einem Ruck stehen. Der Fahrer öffnete die hintere Tür, klopfte dreimal auf den Sitz über Ferris’ Kopf und klappte die Rückbank dann nach oben. Erst konnte Ferris sich kaum bewegen, so steif waren seine Arme und Beine. Der Fahrer musste ihm aus dem Versteck heraushelfen. Er gab Ferris eine alte Mütze, damit man sein Gesicht nicht so leicht erkennen konnte, und eine zerschlissene Wolljacke, wie sie dem Freund eines syrischen Taxifahrers angemessen war, und ließ ihn dann neben sich auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. Erst später fiel Ferris ein, dass er die Zahnschiene mit dem Gift tatsächlich in dem geheimen Versteck zurückgelassen hatte. Er unternahm keinen Versuch, sie zu holen.
     
    Sie fuhren weiter durch die Nacht. Damaskus war selbst um Mitternacht noch voller Lärm und Menschen, und auch die palästinensischen Flüchtlingslager am südlichen Stadtrand waren noch sehr belebt. Vor den immer noch geöffneten

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