Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte
Konfabulationen, seine Mythomanie. Er ist nicht in der Lage, eine echte Geschichte oder Kontinuität, eine authentische innere Welt aufrechtzuerhalten, und so ist er gezwungen, sich mittels erfundener Geschichten eine scheinbare Kontinuität zu schaffen, eine unwirkliche Welt, die von Pseudo-Menschen und Phantomen bevölkert ist.
Wie mag Mr. Thompsons innere Realität aussehen? Oberflächlich betrachtet ist er ein überschäumendes komisches Talent. Man hält ihn für eine Stimmungskanone, und tatsächlich ist an seiner Situation viel Lächerliches, das den Stoff zu einem komischen Roman abgeben könnte. [14] Sie ist komisch, aber keineswegs nur komisch - sie ist auch schrecklich. Denn Mr. Thompson ist ein Mann, der gewissermaßen in einer wahnsinnigen Verzweiflung gefangen ist. Seine Welt löst sich unablässig in ihre Bestandteile auf, verliert ihren Sinn und verschwindet - und er muß verzweifelt versuchen, ihr einen Sinn zu geben, indem er immerfort einen erfindet, indem er Brücken des Sinns über die Abgründe der Sinnlosigkeit schlägt, über das Chaos, das sich ständig unter ihm auftut.
Aber weiß Thompson das, empfindet er es? Nachdem alle, die ihn kennenlernen, ihn zuerst als «Stimmungskanone», als «urkomisch» und «irre witzig» bezeichnen, sind sie über irgend etwas an ihm beunruhigt, ja bestürzt. «Er hört einfach nicht auf», sagen sie. «Er ist wie ein Mann in einem Wettlauf, wie einer, der immer etwas nachjagt, das sich ihm ständig ent zieht. » Und damit haben sie recht: Er kann nicht stehenbleiben, denn der Bruch in seinem Gedächtnis, in seinem Dasein, im Sinn seines Lebens ist nie verheilt und muß jede Sekunde aufs neue überbrückt und «geflickt» werden. Aber die Brücken, die Flicken sind trotz aller Brillanz zu nichts nütze, denn sie sind Erfindungen, Konfabulationen, die nicht als Realität dienen können, wenn sie nicht mit der Realität übereinstimmen. Spürt Thompson das? Noch einmal: Was für ein «Gefühl der Realität» hat er? Leidet er ständige Qualen - die Qualen eines Menschen, der sich in der Unwirklichkeit verirrt hat und versucht, sich zu retten, der aber durch seine unablässigen und ihrerseits völlig unwirklichen Erfindungen und Illusionen zu seinem eigenen Untergang beiträgt? Soviel läßt sich mit Gewißheit sagen: Ihm ist nicht wohl in seiner Haut. Sein Gesicht hat immer einen angespannten Ausdruck. Es ist das Gesicht eines Mannes, der dauernd unter einem inneren Druck steht. Gelegentlich, und wenn, dann nur verstohlen, nimmt es den Ausdruck offener, nackter, ergreifender Bestürzung an. Thompsons Rettung und zugleich sein Untergang ist die ihm aufgezwungene oder zum Selbstschutz angenommene Seichtheit seines Lebens. Ich meine damit die Art und Weise, wie es praktisch zu einer Oberfläche, einer brillanten, schimmernden, glitzernden, sich ständig verändernden, aber doch eben nur zu einer Oberfläche, einer Anhäufung von Illusionen, einem Delirium ohne Tiefe reduziert wird.
Und dies alles geschieht bei ihm ohne das Gefühl, daß er sein Gefühl verloren hat, ohne das Gefühl, daß er die Tiefe verloren hat, jene unergründliche, geheimnisvolle und in unzählige
Ebenen unterteilte Tiefe, durch die Wirklichkeit und Identität irgendwie definiert sind. Jedem, der eine Zeitlang mit ihm zu tun gehabt hat, fällt auf, daß sich hinter seiner hektischen Beredsamkeit ein seltsamer Verlust von Gefühl verbirgt - jenem Gefühl oder Urteilsvermögen, das zwischen «wirklich» und «unwirklich», «wahr» und «unwahr» (man kann in diesem Fall nicht von «Lügen», sondern nur von «Unwahrheiten» sprechen), wichtig und unwichtig, relevant und irrelevant unterscheidet. Seine unablässigen Konfabulationen, die wie ein Sturzbach aus ihm herausbrechen, haben letztlich etwas sonderbar Indifferentes ... als sei es im Grunde unwichtig, was er sagt oder was irgendjemand sonst sagt oder tut, als sei irgend wie alles unwichtig geworden.
Ein hervorragendes Beispiel hierfür ist ein Vorfall, der sich eines Nachmittags zutrug, als William Thompson, der wie üblich Geschichten erzählte und die verschiedensten Menschen aus dem Stegreif erfand, plötzlich sagte: «Und da draußen geht gerade mein jüngerer Bruder Bob am Fenster vorbei», und zwar in demselben erregten und doch gleichgültigen Ton, in dem er den Rest seines Monologs hielt. Ich war höchst er staunt, als eine Minute später ein Mann den Kopf zur Tür hereinsteckte und sagte: «Ich bin Bob, sein jüngerer Bruder
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