Der Mann, der's wert ist
Frauen.«
Benedikt grinste Herrn Wöltje
an: »Ach ja? Bitte erzählen Sie mir mehr darüber.«
Herr Wöltje guckte nur
stockwütend.
»Ach, Herr Wöltje«, seufzte
Benedikt, nahm sein Bierglas und ging Richtung Zigarettenautomat.
Mindestens zehn Minuten war er nicht
zu sehen. Sandy auch nicht. Schweigend saß ich neben Herrn Wöltje, starrte in
mein fast leeres Glas mit dem letzten Schluck lauwarmer Piña Colada. Herr
Wöltje war so enttäuscht von mir, daß ich ihm nicht zumuten konnte, noch eine
auszugeben. Hätte ich mein Glas ausgetrunken, hätte es vielleicht wie eine
aufdringliche Aufforderung gewirkt.
Endlich kam Benedikt zurück —
mit einem Mädchen, so alt wie Sandy. Sie hatte mindestens zehn Kilo Übergewicht
und trug viel zu enge Jeans, die ihre Beine in merkwürdige Windungen preßten.
Dazu einen viel zu engen Pulli, wahrscheinlich, um zu beweisen, daß die Wölbung
in Busenhöhe etwas größer war als die Fettrolle in Taillenhöhe. Sie sah völlig
unförmig aus. Außerdem hatte sie fettige Haare und fettige Pickel.
»Hier bring ich euch Ute«,
sagte Benedikt, »Ute ist die beste Freundin von unserer Sandy.«
Ich taufte sie heimlich >Ute
Unförmig<.
»Grüß dich, Guido.« Ute
Unförmig hielt Herrn Wöltje eine Pickelbacke zum Küßchengeben hin.
Ich staunte — wenn das wirklich
Sandys beste Freundin war, dann war es eindeutig diese Art von
Frauenfreundschaft, die dadurch entsteht, daß sich die Schönste einer Clique
mit der Zweithäßlichsten zusammentut. Es gibt immer viele, die Freundin der
Schönsten sein wollen. Die Schönste wählt nie die Zweitschönste als Freundin,
da ist die Konkurrenz zu deutlich, sie wählt auch nie die Häßlichste, mit der
will keiner was zu tun haben. Die Schönste wählt die Zweithäßlichste. So wählte
auch Prinzessin Diana ihre Hofdamen aus. Solche Freundschaften sind sehr
beständig, weil beide Teile davon profitieren: Die Schönste bekommt von der
Zweithäßlichsten die neidlose Bewunderung, die ihr Konkurrenzfähigere nicht
gönnen, und eine schöne Frau sieht neben einer häßlichen noch schöner aus. Die
Zweithäßlichste profitiert erst recht von der Freundschaft: Alle Typen, die an
der Schönsten interessiert sind, müssen nett zur Zweithäßlichsten sein, um sich
die Gunst der Schönsten nicht zu verscherzen.
Als sich Herr Wöltje vom
Anblick dieses Überraschungsgastes erholt hatte, fragte er: »Ute, willst du
eine Pina Colada?«
»Nein. Ich bestelle und bezahle
grundsätzlich selbst«, sagte Ute, als könnte sie sich sonst vor gefährlichen
Einladungen nicht retten. Genauso entschieden sagte sie: »Ich denke, es ist
aus, Sandy hat jetzt den besseren Durchblick.«
»Warum?«
Ute Unförmig zeigte auf
Benedikt: »Ich und Sandy haben es ihm gerade verklickert.« Sie sah Herrn Wöltje
bedeutungsvoll an. »Es ist nämlich so, daß wir im Sozialkundeunterricht
>Ethische Werte und Normen< aufgearbeitet haben, und da haben wir
Rollenspiele gemacht, und da hat Sandy gecheckt, daß eure Beziehung keine
ethischen Werte und Normen für sie bietet, weil die ethischen Werte und Normen
deiner Familie besser sind. Also, ich finde >Ethische Werte und Normen<
unheimlich spannend.«
»Was für ein Rollenspiel?« Herr
Wöltje klammerte sich an sein Bierglas.
»Hab ich doch gesagt — über
>Ethische Werte und Normen< hat unsere Sozialkundelehrerin mit uns ein
Rollenspiel gemacht.«
»Wie spielt man das?« Herr
Wöltje versuchte sich zu konzentrieren, blickte aber eindeutig nicht durch.
»Eine aus der Klasse mußte die
Geliebte des Familienvaters spielen und die Vorteile aufzählen, die sie hat.
Und eine mußte die Gegenposition spielen und die Vorteile herausarbeiten, die
man hat, wenn man als Jungfrau in die Ehe geht.«
»Und?«
»Ich habe die Rolle der
Geliebten des Familienvaters übernommen«, sagte Ute Unförmig so
selbstverständlich, als sei ihr die Rolle auf den unförmigen Leib geschrieben.
»Du?!« Herr Wöltje war
fassungslos.
»Sandy hat das Mädchen
gespielt, das als Jungfrau in die Ehe will.«
»Sandy? Warum ausgerechnet
Sandy?« Herr Wöltje war noch fassungsloser.
»Sonst wär es ja kein
Rollenspiel«, sagte Ute Unförmig. Benedikt sagte zu Herrn Wöltje: »Wenn ich es
richtig verstanden habe, muß jeder Rollenspieler die Position vertreten, die
ihm persönlich fremd ist, dadurch soll er lernen, die Argumente des anderen
besser zu verstehen.«
»Richtig«, bestätigte Ute
Unförmig.
»Aber wieso will Sandy als
Jungfrau in die Ehe? Und
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