Der Mann im Park: Roman (German Edition)
gewesen war, an dem Tag, als er ins Postamt Stockholm 6 gegangen war. Heute Nacht hatte er ihn verbrannt. Im Hagapark, hatte die Asche ins Wasser der Brunnsviken gestreut. Und damit alle Spuren von sich verwischt.
Er spürte eine leichte Unruhe. Die Kellnerinnen im Café am Sportplatz hatten ihn häufiger gesehen, sogar einige Male mit ihm gesprochen. Er wusste, er musste wieder verschwinden. Wieder würde er sich unter die gesichtslose Masse mischen. Verschwinden. Das Land verlassen, unsichtbar werden.
Er stand vor dem Eingang der Werft. Das Metalltor war immer noch mit einem Vorhängeschloss versehen. Verriegelt und verrammelt. Das Loch im Zaun daneben, das er aufgeschnitten hatte, damit er und Ingrid aufs Gelände kommen konnten, war von einer großen, massiven Holzscheibe bedeckt.
Wieder musste er an diesen letzten Abend denken. An die letzte Nacht. Als er von einem einfachen Dieb zum Mörder geworden war. Die letzte Nacht mit Ingrid.
Das Gespräch mit dem Mädchen im Park. Die Erdbeeren, die er ihr angeboten hatte. Wie sie im Auto eingeschlafen war. Wie eiskalt er war, als er sie auf der Werft erschlagen hatte. Dieses sonderbare Gefühl hinterher, es war so fantastisch, aber auch so schnell wieder verschwunden.
In gewisser Weise war nicht sie es, die er erschlagen hatte, denn eigentlich hatte er sie doch gemocht. Es war das Glück im Leben, das er erschlagen hatte, dieses Glück, das er selbst nie hatte erleben dürfen. Er hatte die Ungerechtigkeit erschlagen, die in dem Begriff »Leben« verborgen war.
Heute wollte er nicht auf das Werftgelände gehen. Das hatte er bereits beschlossen, bevor er hierhergekommen war, so unvorsichtig wollte er nicht sein. Aber er wollte die Atmosphäre rundherum spüren, das sehen, was er in der bewussten Nacht gesehen hatte. Damals war die Luft wärmer gewesen, fast angenehm.
Er ging langsam auf die Holzbrücke über dem Beckholmssund zu. Schlug den Mantelkragen hoch und drückte den Hut tiefer in die Stirn. Es konnten nicht viele Plusgrade sein, und die Feuchtigkeit ließ die Luft noch kälter erscheinen.
Er trat auf die Brücke mit den tief hängenden Lampen. Vor ihm lag Beckholmen, er konnte die Holzhäuser in der Dunkelheit gerade noch erkennen, sie glichen Schatten.
Es war Mittwoch geworden, Mittwoch, der zehnte Oktober.
Als er über das Wasser blickte, kam ihm ein Gespräch in den Sinn, das er einmal mit seiner Mutter geführt hatte, damals vor sieben Jahren, als er ihr sein Herz ausschütten wollte. Er hatte ihr gesagt, wie es war. Dass ihm das Leben sinnlos erschien. Dass er keine Freunde hatte, keine Verwandten, die mit ihm in Kontakt standen. Dass er keinen Sinn darin sah, irgendeine Karriere zu machen. Dass es keinen Menschen gab, der ihn liebte, und es wohl nie einen gegeben hatte, vielleicht mit Ausnahme der Mutter.
Er zündete sich eine Zigarette an und dachte an ihre Worte von damals.
»In fünf Jahren, oder in zehn Jahren. Wer weiß, wie es dann aussieht? Vielleicht bist du dann ein ganz anderer, glücklich mit Frau, Kindern und Karriere. Wer weiß, mein Sohn, wir wissen doch so wenig. Aufgeben, das ist das Schlimmste, was man tun kann.«
Eine Frau, dachte er, eine ehrliche Arbeit. Kinder, die man zur Schule begleitet. Ein Haus, vielleicht mit einem Rasen, der geschnitten werden muss. Wie sollte das möglich sein? Ich kann es mir ja nicht einmal vorstellen.
Er drehte sich um, wandte der Brücke den Rücken zu und ging durch den Regen.
Visby 1953
70
Stierna setzte sich im Bett auf. Er stand auf und griff nach dem Stock, der an den Nachttisch gelehnt stand. Schaute Karolinas Foto an, auf dem sie auf dem Bootsanleger der Insel stand, auf der sie so oft gewesen waren. Trotzdem fiel es ihm schwer, sich daran zu erinnern, wie es dort draußen aussah, selbst wenn er die Augen schloss und versuchte, es sich vorzustellen. Es war so lange her, so viele Jahre waren seitdem vergangen.
Der beigefarbene Pappkarton stand auf dem runden Tisch vor dem Fenster. Der Deckel war geschlossen, aber mehrere Seiten lagen verstreut darum herum. Die Zeichnung war darunter, zumindest eine Kopie der Zeichnung. Das Bild, das ihn all diese Jahre verfolgt hatte. Ingrids Zeichnung von dem Mann, der auf einer Bank saß.
Er saß im Vasapark. Stierna war überzeugt davon, obwohl er ihn dort nie angetroffen hatte. Trotz aller Überwachung, allen Nachforschungen, die sie angestellt hatten, er war dort nicht wieder aufgetaucht. Zumindest nicht, wenn einer der Beamten dort war. Hatte
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